
ODER: DER BORKENKÄFER AUF DEM VORMARSCH
Ich war kürzlich auf Krankenbesuch. Denn das halbe Sauerland ist gefährlich krank… Ja, es sind tatsächlich gut fünfzig Prozent der Region mit Wald bedeckt, und dessen Zustand ist schon recht kritisch. Das darf auf keinen Fall so bleiben, denn wir alle brauchen ihn doch so sehr: Die Menschen als Erholungs- und Wirtschaftsraum, die Pflanzen und Tiere als Zuhause und die Umwelt als grüne Lunge. Doch was können wir tun, um ihn zu retten? Um das herauszufinden, reicht ein schlichter Krankenbesuch nicht aus, denn der Wald ist eher ein stiller Vertreter. Nein, ich musste einen Experten bei seiner täglichen Visite begleiten… So traf es sich super, dass im „Jimi-Hendrix-Club“ meines Vaters ein Förster ist, der bereit war, mich zu seinem Patienten mitzunehmen:
Anamnese
Bei einer Krankheit zählt bekanntlich nicht nur der Ist-Zustand; es ist ebenfalls von zentraler Bedeutung, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Nur so können die Ursachen beseitigt werden… So typisch auch die Fichtenwälder und Weihnachtsbäume für das Sauerland sind, der natürliche Zustand ist das nicht. Ursprünglich war die Region vor allem von Laubwäldern bedeckt.
Immer mehr und mehr machte sich der Mensch diese natürlichen Wälder zu eigen und gestaltete sie nach seinen Bedürfnissen um… Besonders in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Schäden gravierend waren und eine schnelle Aufforstung im Mittelpunkt stand, wurden riesige Flächen mit reinen Fichtenbeständen angelegt. Diese zeichnen seitdem das Landschaftsbild der Region; oder woran denkst du, wenn du Sauerländer Wald hörst?
Mit dieser Veränderung seines äußeren Erscheinungsbildes und der zunehmenden Luftverschmutzung kam der Wald aber nicht ohne weiteres klar. Anfang der 70er Jahre setzte ein Tannensterben ein, das nach und nach andere Baumarten betraf, und endlich setzte die Diskussion um den Schutz der Wälder und ein Umdenken in der Forstwirtschaft ein. Das große Problem aber, die anfälligen, weil reinen Fichtenbestände, blieb bestehen…
Diese waren dann auch leichtes Futter für den Orkan Kyrill, der im Januar 2007 über Europa hinwegfegte. 25 Millionen Bäume fielen ihm in Gesamt-NRW zum Opfer, die Schadensfläche ist etwa 50.000 Hektar groß. Auch in den letzten Jahren ging es turbulent zu: Im Jahr 2017 tobten starke Herbststürme, der Orkan „Friederike“ zerstörte im Januar 2018 wiederum ganze Wälder, dazu kam die extreme Dürre im vergangenen Sommer.
Wie sah es nun im Wald aus? Viele umgeworfene Bäume, die so schnell gar nicht abtransportiert werden können, und von der langen Dürreperiode geschwächte Fichten… Für uns ist das eher ein beunruhigendes Bild, aber für jemand Anderen der ideale Wohnort: für den „Waldfeind Nr.1“:
Diagnose
Da ihm über eine Million Bäume im vergangenen Jahr in NRW zum Opfer gefallen sind, wage ich mal, den Borkenkäfer als solchen zu bezeichnen. Wie kam es nun zu dieser explosionsartigen Ausbreitung, die den größten Befall seit 1947 darstellt? Dazu müssen wir uns ein wenig mit Fortpflanzung und Mathematik beschäftigen: Pro Generation hat ein Borkenkäfer-Weibchen sechzig Nachkommen, pro Vegetationsperiode gibt es normalerweise zwei bis maximal drei Generationen, also 100.000 bis 250.000 Nachkommen. Das ist schon viel… Aufgrund der optimalen Lebensbedingungen gab es aber im vergangenen Jahr bis zu vier Generationen; nun darfst du gerne auf den Taschenrechner zurückgreifen – das Problem sollte aber auch so klar geworden sein!?
Also, auf der einen Seite viel mehr Angreifer, auf der anderen Seite die durch die Trockenheit geschwächte Fichte, die normalerweise 200 Käfern mit ihrer Harzabwehr trotzen kann, in ihrem damaligen Zustand aber der Vielzahl wehrlos ergeben war. Und so konnte der Borkenkäfer zahlreiche Wälder für sich erobern…
Wenn wir von dem Borkenkäfer reden, müssen wir übrigens beachten, dass es drei Arten gibt, die unterschiedliche Teile des Waldes befallen: Der „Buchdrucker“ bevorzugt den Stammbereich mittelalter und alter Fichten, also genau die Bestände, von denen eben die Rede war. Er frisst sich durch den Bereich zwischen Borke und Splintholz und durchtrennt so überlebenswichtige Leitungsbahnen des Baumes. Der „Kupferstecher“ befällt bevorzugt Jungpflanzen, der „gestreifte Nutzholzborkenkäfer“ auch absterbende Bäume und eingeschlagenes Nadelholz, weshalb ein möglichst schneller Abtransport der befallenen Stämme zu der im Sauerland vorhandenen Sägeindustrie wichtig ist, um auch einen weiteren Wertverlust des Rohstoffes Holz für den Waldbesitzer so gering wie möglich zu halten.
Dazu müssen die Förster bei ihrer täglichen Visite nach befallenen Bäumen suchen, denn die Borkenkäfer-Population eines einzigen übersehenen Baumes kann noch im selben Jahr zum Befall von 8.000 weiteren Bäumen und laut einer Hochrechnung von 2018 zu einer Nachkommenschaft von 1,5 Milliarden Käfern im Folgejahr führen. Sie werden bis zu zwei Jahre alt und es ist davon auszugehen, dass ca. 90 Prozent der eingewinterten Käfer und Larven überlebt haben. Die Diagnose steht: die Forstwirtschaft steht vor Schäden bislang nicht bekannten Ausmaßes. Und die Angst vor einem erneut trockenen Sommer ist groß!
Therapie
Die Beschwerden sind akut, die Therapie hat aber glücklicherweise längst eingesetzt: Seit etwa 30 Jahren gehen die Forstämter in NRW den Weg der naturnahen Waldwirtschaft.
Und die ist eben nicht geprägt von einer Fichten-Monokultur, sondern von einer Baumartenvielfalt, die die Biodiversität erhöht und den Wald gesunden lässt. Daher gewinnt das Anpflanzen von Buchen, Weißtannen, Douglasien und anderen langlebigen Bäumen immer mehr an Bedeutung.
Schon wieder anpflanzen? Sollte man nicht einfach die Natur sich selbst überlassen, um wieder natürlich zu werden?
Ja, das könnte man, aber rate mal, was unter Fichten wachsen würde!? Wenn im Schatten der hohen Fichten überhaupt wieder etwas hervorkommen würde, könnten es wohl nur ihresgleichen sein…
Daher müssen wir dem Wald weiterhin dabei helfen, wieder zu sich selbst zu finden! So gesehen ist das Absterben der Fichte durch den Borkenkäfer auch eine Chance, den Waldumbau schneller voranzutreiben. Auf den Kyrill-Flächen hat sich das Verhältnis schon deutlich geändert: waren es zuvor 90 Prozent Nadelbäume, sind es jetzt gut die Hälfte.
Also, erfreuen wir uns an einem Spaziergang durch einen unaufgeräumt wirkenden, natürlichen Wald mit einer artenreichen Mischung, nicht an ordentlich aufgereihten Fichten, unter deren Schatten nichts anderes mehr wachsen kann! Schützen wir den Wald, in dem wir ihn und die Luft nicht zumüllen! Und schaffen wir ein ausgewogenes Verhältnis von Nutzen für den Menschen und Kosten für die Natur!
Bei meinem Krankenbesuch habe ich viel gelernt, und die ganze Thematik ist nicht nur superwichtig, sondern auch superspannend. Daher kann ich dir nur dringend ans Herz legen, ihn auch mal zu besuchen, und dich weiter zu informieren unter:
Ein Kommentar zu „PATIENT „SAUERLÄNDER WALD“ – IST ER NOCH ZU RETTEN?“