
ODER: GRÜSSE AUS MINSK…
Hattest du dich auch schon auf „Der Ölprinz“ gefreut, vielleicht sogar Tickets für die Premiere ergattert, die morgen stattfinden sollte? Ich bin ebenso traurig wie du: Ein ganzes Jahr ohne klappernde Hufe, schießende Cowboys und eben auch ohne Winnetou, der langsam die Naturbühne vom „Elspe Festival“ heruntergeritten kommt und damit selbst dem hartgesottensten Kerl die Rührungs-Tränen in die Augen treibt – das ist wirklich kaum in Worte zu fassen! Trotzdem möchte ich es versuchen, und habe mir dabei Unterstützung von Jemandem geholt, der das wohl am besten beschreiben kann: Eben diesem Winnetou aus Elspe, Jean-Marc Birkholz. Und ich bin sicher, dass auch du das Jahr nach diesen Worten viel besser überbrücken kannst, und die Vorfreude auf „Der Ölprinz“ 2021 noch viel größer werden wird:
Ich vermisse den Klang der Stille
Jean-Marc, eigentlich würdest du gerade bei der Generalprobe in Elspe auf der Bühne stehen, nun erreiche ich dich im 1.600 Kilometer entfernten Minsk, wo du seit fast zwei Jahren lebst. Wie hast du von der Absage der gesamten Saison erfahren, und was ging dir im ersten Moment durch den Kopf?
Als unverbesserlicher Optimist, hatte ich bis zuletzt daran geglaubt, dass wir spielen werden. Die Absage traf mich wie ein Schlag. Ich habe mich auf mein Bett gesetzt und bin erst nach einer guten Stunde wieder aufgestanden.
Seit 2008 verbringst du jeden Sommer im Sauerland. Was wirst du in diesem Jahr besonders vermissen?
Ich vermisse meine Freunde, meine Kollegen, mein Pferd, die Fans. Ich vermisse den Klang der Stille, den ich im Sauerland so sehr liebe!
Natürlich muss man immer auch das Positive sehen: Endlich hast du mal die Möglichkeit, einen Sommer mit deiner Frau Valya zu verbringen. Habt ihr schon Pläne?
Ich mache gerade ganz neue Erfahrungen. Seit 2000 habe ich ja, mit einer Ausnahme, jeden Sommer auf einer Freilichtbühne gespielt. Für mich gab es immer nur Bühne und den Geruch der Pferde. Ich erlebe gerade, wie sich der Sommer dort anfühlt, wo ich wohne, wenn ich nicht in Elspe bin. Valya arbeitet an ihrem Theater. Durch Corona hat sich ihr Jahresurlaub von vier Wochen auf zwei reduziert. Wir werden wohl die stillen Ecken von Belarus bereisen. Ich lerne das Land nun auch in dieser Jahreszeit kennen.
Valya, wie erlebst du die aktuelle Situation in deiner Heimat? Was hat sich in eurem Alltag verändert?
Wir haben keine Quarantäne, daher sind die Veränderungen im Alltag nicht so offensichtlich wie in anderen Ländern. Wir arbeiten weiter. Aber gerade wegen der fehlenden Quarantäne sind die Menschen in Belarus sehr vorsichtig. Die ersten Nachrichten über das Virus erschreckten die Weißrussen, und viele begaben sich in Selbstisolation. Ich war einen Monat lang fast arbeitslos. Das Theater, in dem ich arbeite, hat versucht, durch die Online-Lesungen zu überleben. Auch unsere Proben fanden online statt. Die meisten Menschen tragen Masken und Handschuhe, die öffentlichen Verkehrsmittel sind leer. Die Menschen versuchen, ihren Bewegungsradius einzuschränken. Deshalb sind auch die Theater leer. Im Theater, wo ich wieder arbeite und eine Vorstellung pro Woche gebe, sitzen die Zuschauer jetzt mit großem Sicherheitsabstand voneinander. In der anderen Zeit proben wir weiterhin ein neues Stück. Wenn der hauseigene Theater-Arzt kommt, kontrolliert er die Temperatur jedes Schauspielers. Gerade habe ich mit den Dreharbeiten für eine neue Serie begonnen. Es geht irgendwie weiter, aber irgendwie anders. Viele Schauspieler, die nun ohne Arbeit sind, fühlen sich nicht mehr gebraucht und verlieren den Sinn ihres Lebens. Ich kann Gott nur danken, dass es mir so gut geht!
Seitdem wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben, ist einige Zeit vergangen… Welche Projekte habt ihr seitdem realisiert, was steht aktuell an?
Valya: Im Herbst nahm ich an den Dreharbeiten zur Krimiserie „Сжигая за собой мосты“ („Die Brücken, die man hinter sich verbrennt“) teil und spielte eine russische Spionin, die sich als deutsche Baronin ausgab. Die Dreharbeiten fanden in Kaliningrad statt. Jean-Marc half mir mit der deutschen Sprache. Es war eine tolle Erfahrung. In meinem Theater hatte ich zwei Premieren. Shakespeare’s „King Lear“ und ein Stück, das sich vier von uns Schauspielern zusammen mit unserem Regisseur ausgedacht haben. Es heißt „Першы» («Das erste Mal“). Darin geht es um alle Eindrücke, die wir das erste Mal in unserem Leben wahrgenommen haben, und wie sie uns geprägt haben. Gerade spiele ich die Hauptrolle in einer Komödie im „Theater der Filmschauspieler“ als Gast. Ich hatte auch das Glück, die Rolle der Krankenschwester „Faye“ im Kriegsfilm „Дед морозов“ (Großvater Morosov“) zu spielen. Die Premiere fand im Mai statt.
Jean-Marc: Direkt im Anschluss an „Winnetou III“ gingen die Dreharbeiten für „Liberté“ los. Zeitgleich begann ich, für „Следы Апостолов II“ („Auf den Spuren der Apostel II“) zu drehen. Darin spiele ich eine Doppelrolle, den Enkel zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und den Urgroßvater im Napoleonkrieg 1812. Zwei Franzosen. Beide Filme warten gerade auf ihre Premiere. Im April kam der 2. Weltkriegs-Film „Enemy Lines“ in die amerikanischen Kinos, und endlich hatte auch „Sniper – Officer Smersh“ seine TV Premiere. Der Film, in dem ich Valya erschießen muss. Bis kurz vor deren Uraufführungen war ich in Deutschland auf Lese-Tour. Doch dann nahmen die Auswirkungen von Corona volle Fahrt auf…
Jean-Marc, da deine Filme meist auf Russisch sind, kannte ich dich bisher nur als „Winnetou“. Letztens habe ich den Trailer zu „Liberté“ entdeckt und war total begeistert! Worum geht es in dem Film und bestehen Chancen, ihn auch in Deutschland sehen zu können?
In diesem Film geht es um das „Nicht loslassen können“. Ich spiele darin einen Interpol-Ermittler, der dem Boss eines Drogenschmuggler-Ringes auf der Spur ist, sich aber zu dessen Frau hingezogen fühlt, die ihn verführt. Es ist ein Mystery-Drama und soll auch in Deutschland gezeigt werden. Vorerst warten wir darauf, dass er auf Festivals läuft, sobald solche wieder stattfinden dürfen. Ich spreche in diesem Film übrigens nur einige Sätze auf Russisch, ansonsten rede ich Deutsch.
Wenn es die Reisebeschränkungen wieder zulassen: Wirst du 2020 noch nach Deutschland kommen? Sind zum Beispiel Termine für Lesereisen geplant?
Es steht ja alles in den Sternen. Nichts ist planbar im Moment. Gerade habe ich eine Einladung nach Kroatien bekommen. Ins Film-Winnetou-Land. Dort werde ich im Oktober Auszüge aus meinen Leseprogrammen vortragen. Sobald es wieder möglich ist, meine Programme in Deutschland zu absolvieren, werde ich es tun.
Ich weiß, du findest immer die passenden Worte! Was möchtest du deinen Sauerländer Fans sagen, damit sie das Jahr ohne ihren Winnetou irgendwie überstehen?
Diesmal fällt es mir wirklich schwer, die passenden Worte zu finden. Das Überleben unserer Kulturlandschaft, mit ihren unzähligen freischaffenden Künstlern, hängt an einem seidenen Faden. Es gibt viele Versprechungen. Aber ein Versprechen zahlt keine Miete und kauft kein Essen. Für den real freischaffenden Künstler gibt es keine Hilfe. Ich verstehe das „Arbeitsverbot“ für uns und unterstütze den Kampf gegen Corona, so gut man es eben tun kann. Aber um Leben zu schützen, wird auf der anderen Seite die existenzielle Bedrohung einer ganzen Branche in Kauf genommen. Ich wünsche mir von Herzen, dass Alle gesund bleiben, und Niemand auf der Strecke bleibt.
Und wenn dir das Jahr doch zu lang wird, schau doch mal hier vorbei:
https://www.instagram.com/jeanmarcbirkholz/
https://www.instagram.com/valia_gartsuyeva/
https://www.jeanmarcbirkholz.de/
Die Fotos wurden von Jean-Marc zur Verfügung gestellt.