
ODER: WIE KÖNNEN DAS MUNDARTARCHIV SAUERLAND UND WIR ALLE DAS PLATTDEUTSCHE RETTEN?
Als Lateinlehrerin wurde ich schon häufig mit dem Gedanken konfrontiert, dass Latein ja eine tote Sprache sei. Meine Meinung dazu hängt von der Definition von „tot“ ab. Versteht man es als „nicht mehr existent“, so stimmt das nicht. Schüler, Studenten, Dozenten etc. können sicherlich bestätigen, dass Latein sehr präsent und allgegenwärtig sein kann. Autos heißen „Audi“, Cremes „Nivea“ und Hundefutter „Terra Canis“. Und überhaupt begreift man das System der deutschen Grammatik erst richtig, wenn man Latein gelernt hat. War zumindest bei mir so!
Versteht man „tot“ allerdings als „nicht mehr aktiv gesprochen“ – was ja nun mal ursprünglichstes Interesse einer Sprache ist –, so stimmt diese Aussage unbestritten. Das Römische Reich ist lange untergegangen. Und niemand wird mehr mit der Muttersprache Latein geboren. Eine so wunderschöne, durch ihre Logik und Schlichtheit bestechende Sprache ist einfach so ausgestorben. Dagegen können wir nicht mehr viel tun.
Da bietet sich just die Gelegenheit, etwas für eine andere Sprache zu tun, die ebenfalls vom Aussterben bedroht ist:
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Eigens um das Überleben dieser bedrohten Art zu retten, ist das Mundartarchiv Sauerland im Stertschultenhof in Cobbenrode („Stert“ ist das „Ende“; so weiß man direkt, wo in der Ortschaft der Hof zu finden ist) gegründet worden:
Herr Beckmann, wie sind Sie zum „Artenschützer“ geworden?
Ursprünglich komme ich aus dem Ruhrgebiet, aus Bochum. So kann man schon von einem glücklichen Zufall sprechen, dass mein Weg mich hierher ins Sauerland geführt hat. Eigentlich wurde für das Projekt „Mundarten im Sauerland“ im Jahr 2000 jemand gesucht, der plattdeutsche Tonträger verschriftlicht. Nachdem die erste Kandidatin abgesprungen war, wendete man sich an mich, und ich bezog zunächst für zwei Jahre ein Büro an der VHS in Olpe. Als „Mundartarchiv Sauerland“ zogen wir dann 2002 in den „Stertschultenhof“ in Cobbenrode ein. Der Hof wurde im 16. Jahrhundert gebaut, die Hofstelle besteht allerdings schon 400 Jahre länger. Nun bin ich nicht nur durch meine Arbeit eng mit dem Sauerland verbunden, sondern auch durch meine Mitgliedschaft im Heimat- und Schützenverein, Kirchenchor und der Feuerwehr – hier allerdings als passives Mitglied.
Wie arbeitet das Mundartarchiv?
Hauptinteresse unserer Arbeit ist es, so viel wie möglich von der authentischen Mundart zu konservieren. Dazu führe ich Interviews mit Menschen, die plattdeutsch sprechen, aus verschiedenen Orten des Hochsauerlandkreises und des Kreises Olpe und befrage sie zu ihrem Lebenslauf. Ich erfahre dadurch zweierlei: Zum einen kann ich durch die Aufzeichnung und Verschriftlichung der Interviews wertvolle Einblicke in die einzelnen Mundarten gewinnen und festhalten. Zum anderen erfahre ich so viel über das Bildungssystem, die Berufe und das allgemeine Leben zu der Zeit in dem Dorf. Dabei interessiert mich natürlich auch das (religiöse) Brauchtum. Das „Sunnenvöül-Kloppen“ (andernorts auch „Sunnenviul-Kloppen“) ist heute kaum noch bekannt: Früher klopften die Kinder am 22. Februar mit einem Hämmerchen an die Haustür und- wand, um den Frühling zu wecken und den Winter zu vertreiben. Das Lied, das dabei gesungen wurde, liegt mir in drei verschiedenen Varianten vor.
Gibt es ein Mindestalter für Ihre Interviewpartner?
Nein. Alle, die authentisch platt sprechen, sind hier gefragt. Ich habe auch schon ein Interview mit drei Generationen einer Familie geführt: Da sprechen die Enkelkinder mit Eltern und Großeltern Platt. Inzwischen liegen uns zweihundert Interviews vor, von denen dreißig bereits verschriftlicht und mit Begleittext, Vokabelangaben und CD veröffentlicht wurden.
Handelt es sich bei Plattdeutsch um eine Sprache oder um einen Dialekt?
Beides. Neben Hochdeutsch, Niederländisch und Friesisch ist Plattdeutsch – oder auch Niederdeutsch – eine eigene Sprache. Daneben hat das „Suderlander Platt“ aber zahlreiche Dialekte. So unterscheiden sich hauptsächlich die Vokale, aber auch einige grammatische Finessen – wie die Extraform für den Dativ im Olper Raum – von Dorf zu Dorf. Besonders in der Gebirgsregion kommt es so zu einer starken Zersplitterung der Sprache. Dennoch: Wer eine Mundart versteht, versteht auch die anderen!
Wie kommt es, dass kaum noch Platt gesprochen wird?
Durch den Untergang der Hanse im 15. Jahrhundert verschoben sich die Handelszentren in Deutschland von Nord nach Süd. Hatten die Hanseaten das Niederdeutsche als Verkehrssprache genutzt, orientierten sich die Handelsleute nun an den Hochdeutsch sprechenden Kaufmännern im Süden. Man lernt Sprache schließlich am ehesten durch Nachahmung. Die Handelssprache wurde nun allmählich Hochdeutsch. Weiterhin förderlich für diese Entwicklung war die Bibelübersetzung Martin Luthers und der Umgang innerhalb des Bildungssystems mit dem Plattdeutschen: Den Schülern wurde verboten, in den Pausen in dieser „Bauernsprache“ zu reden und der Unterricht fand ohnehin nur noch auf Hochdeutsch statt. Quasi wurde so den Kindern ihre eigene Muttersprache verboten, das muss man sich mal vorstellen! In der Schweiz und in Luxemburg dagegen ist die Mundart als allgemeine Umgangssprache noch bis heute lebendig geblieben.
Wie sehr unterscheidet es sich vom Hochdeutschen? Hat meine eine Chance, es zu verstehen, wenn man es nicht eigens gelernt hat?
Wie gesagt, ist es eine eigene Sprache mit eigener Grammatik und Wörtern. Man muss sie lernen wie jede andere Sprache auch. Aufgrund ihrer engen Verwandtschaft – schließlich sind beides westgermanische Sprachen – kann man aber durchaus schon viel verstehen und leichter lernen als beispielsweise Latein!
Macht den Selbstversuch und übersetzt folgende Wörter (googeln verboten!): „Sunnenvöul“, „Schreyfdisstauhl“, „Maude“, „schlopen“, „Huisken“, „feyfteihn“, „Breiers“, „Christdag“ und „kuiern“.
Die Notwendigkeit, das Plattdeutsche sichtbar zu verankern, um es zumindest als „existent“ lebendig zu machen, haben auch schon einige Landesregierungen erkannt: Während auf niedersächsischen Ortsschildern vielfach schon plattdeutsche Namenszusätze zu finden sind, erwägt das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung gleiches für Nordrhein-Westfalen.
Vielleicht besucht man ja dann schon bald den Stertschultenhof in „Cobbenroo“.
MundartArchiv Sauerland, Olper Str. 3, 59889 Eslohe – Cobbenrode
Telefon: 02973/79927 , Email: mundartarchiv@gmx.de Homepage: http://www.stertschultenhof.de/mundartarchiv