
ODER: 25 JAHRE „TATORT KÖLN“
Wo bist du sonntagsabends um 20:15 Uhr zu finden? Mit Blick auf die Quoten ist das recht leicht zu erraten – natürlich vor dem Fernseher! Und bestimmt hast du ein Lieblingsteam, vielleicht ja auch das aus Köln!? Seit einem Viertel-Jahrhundert schauen nun schon regelmäßig mehr als zehn Millionen Menschen zu, wenn Max Ballauf und Freddy Schenk ermitteln, immer mit dabei auch der etwas wortkarge Gerichtsmediziner Dr. Joseph Roth… Einiges hat der in Ense lebende Schauspieler Joe Bausch mit seiner Rolle gemeinsam, anderes aber auch nicht, wie sich bei unserem Interview am Möhnesee herausstellte:
Das hier ist Heimat für mich geworden
Pensionierter Gefängnisarzt, Schauspieler, Buchautor, Moderator oder Verbrechensexperte, ich könnte Sie mit vielen verschiedenen Bezeichnungen vorstellen. Mit welcher würden Sie sich am meisten identifizieren?
Von der Lebenszeit habe ich die längste Zeit als Arzt zugebracht, von daher ist das sicherlich der Schwerpunkt meiner Arbeit, aber in den letzten Jahren haben das Schreiben über Verbrechen und damit verbundene Lesereisen auch einen zunehmenden Raum eingenommen. Also, in erster Linie bin ich Arzt und Schauspieler, aber auch Autor – ich kann mich da gar nicht so genau festlegen, ich mache halt sehr viel…

(Foto: WDR / Martin Valentin Menke)
Nach dem Medizinstudium denken wohl die wenigsten daran, Gefängnisarzt zu werden. Was hat Sie dazu gebracht, sich für diesen sehr speziellen Arbeitsort zu entscheiden?
Das war tatsächlich Zufall! Seinerzeit hatte das Justizvollzugskrankenhaus in Fröndenberg, das gerade neu aufgemacht hatte, Assistenzarzt-Stellen in der Chirurgie ausgeschrieben. Der Plan war, dass ich da für ein, zwei Jahre hingehe, und dann nach Schwelm in die Urologie wechsle, weil das das Fach war, das ich mir gut für mich vorstellen konnte. Der Plan war also ursprünglich, für einige Zeit nach Fröndenberg zu gehen, aber dann habe ich einen kleinen Umweg in die JVA Werl gemacht, weil der Chefarzt in der Fröndenberger Chirurgie meinte, ich hätte aufgrund meines Auftretens eine verdächtige Nähe zum Klientel. Dieses Intermezzo in Werl hat letztendlich den Ausschlag gegeben. Ich hatte da RAF-Frauen der zweiten Generation und eine alte Dame, die als junge Frau im KZ Furchtbares angerichtet hatte, als Patientinnen; das war schon eine spannende Zeit! Ehe ich mich versah, waren zwei, drei Jahre rum, ich war mittlerweile Facharzt für Allgemeinmedizin und eben nicht für Urologie, hatte aber auch das Gefühl, ich bin da angekommen. Ich habe ja nebenbei auch Filme gedreht, und das hätte ich nicht gekonnt, wenn ich mich in einer eigenen Praxis niedergelassen hätte… Ich hatte dann zwar noch einmal überlegt, nach Duisburg zu wechseln und in der Venenchirurgie zu arbeiten, die wollten mich auch unbedingt, aber dann passierte am 30. Juni 1992 die Geiselnahme in der JVA Werl. Da kamen so viele von den Mitarbeitern nicht mehr wieder, weil sie entweder traumatisiert oder verletzt waren, da konnte ich nicht auch noch gehen. Das wäre wie eine Fahnenflucht gewesen. Danach hatte sich der Gedanke an eine Umorientierung auch erledigt, dann bin ich halt geblieben.

(Foto: Kirsten Nijhof)
Über dreißig Jahre haben Sie in der JVA Werl gearbeitet, zuletzt als Leitender Medizinaldirektor. Denkt man als Arzt darüber nach, mit wem man es hier zu tun hat, oder behandelt man einfach einen Patienten? Und kann man aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht vielleicht sogar ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Insassen aufbauen?
Man behandelt Patienten, wie draußen auch. Bevor sie schreckliche Verbrechen begangen haben, wurden sie in anderen Praxen nett und freundlich behandelt, und so habe ich sie auch behandelt. Das ist meine Überzeugung – ich bin Arzt und nicht Inquisitor! Die Schweigepflicht ist ein wichtiger Aspekt, aber von einem vertrauensvollen Verhältnis kann man auch nur bedingt sprechen. Du wirst im Knast auch getestet, ob du eine Plaudertasche bist oder ob du Sachen für dich behalten kannst… Ich habe viele Informationen bekommen, ich wusste relativ viel, konnte aber auch den Mund halten und damit umgehen – das ist ja manchmal nun wirklich kein Vorteil, ins Vertrauen gezogen zu werden. Mein Wahlspruch ist: Man muss das Leben aushalten können! Und so musste ich eben auch aushalten, dass mir Menschen Geschichten erzählen, die nur ganz schwer auszuhalten sind.

(Foto: WDR / Martin Valentin Menke)
Nach Feierabend konnten Sie die JVA wieder verlassen – war es trotzdem manchmal schwer, abzuschalten? Also, hat Sie das ein oder andere Schicksal auch bis nach Hause begleitet?
Allein schon, wenn man als Mediziner arbeitet, muss man es lernen, abzuschalten. Niemand geht zum Arzt, um ihm etwas Lustiges zu erzählen; es ist ohnehin ein Beruf, der sich mit Problemen auseinandersetzt. Es wäre gelogen, zu sagen, dass ich immer schon an der Pforte abgeschaltet hätte; besonders am Anfang habe ich natürlich auch manche Geschichten mit nach Hause genommen, später klappte das dann besser, das ist immer auch eine Gewöhnungssache. Und das ist ja auch in vielen Berufen so – wann immer man eine besondere Erfahrung macht, positiv wie negativ, nimmt man die mit nach Hause.

(Foto: WDR / Bavaria Fiction GmbH / Martin Valentin Menke)
Ihr neues Buch heißt „Maxima Culpa“. Können sich Menschen, die die größte Schuld auf sich geladen haben, auch irgendwann wieder davon befreien?
Formal-juristisch können sie sich davon befreien, indem sie ihre Strafe verbüßen. Einige sehen das auch so, bereuen die Tat nicht und sagen, dass sie ja dafür ihre Strafe abgesessen hätten. Aber wenn wir das mal so sehen: Der eine bringt drei Menschen um, der andere zwei, und wieder ein anderer einen, aber auf sehr grausame Weise, alle bekommen lebenslang und kommen nach 25, 30 Jahren wieder frei – da fragt man sich schon, ob das nun der Preis für ein Menschenleben ist, oder für zwei, oder für drei… Kann man dafür bezahlen? Im juristischen Sinne ja, aber auch im moralischen? Manche bereuen ihre Tat, besonders auch, weil sie ihr eigenes Leben ja völlig verändert und sie in den Knast gebracht hat, insofern ist bei Reue auch immer sehr viel Selbstmitleid im Spiel. Natürlich sind das auch immer noch Menschen, aber wenn sie malträtieren, totschlagen oder ihre Frau an den Füßen aufhängen und ihr das Baby aus dem Leib schneiden, heftige Straftaten begehen, dann sind es eben Verbrecher. Das muss man auch ganz klar so sagen! Meine Aufgabe war es aber nicht, die Menschen mit ihren Verbrechen zu konfrontieren, sondern mich um ihre Gesundheit zu kümmern; anders als im Beichtstuhl wurde sich bei mir ausgezogen, ich habe die Menschen abgetastet, nicht auf Waffen oder gefährliche Gegenstände hin, sondern um sie zu untersuchen. So eine Situation sorgt dafür, dass man auch im Gespräch mal auf Bereiche stößt, wo andere Berufsgruppen nicht so einen tiefen Einblick bekommen. Und da ist eben auch die Frage nach Schuld immer wieder ein Thema gewesen…

(Foto: WDR / Martin Valentin Menke)
Der „Tatort Köln“ feiert in diesem Jahr seinen 25. Geburtstag; ebenso lange sind Sie schon in der Rolle als Gerichtsmediziner Dr. Joseph Roth dabei. Hätten Sie damals gedacht, dass der Erfolg des Kölner Teams so lange anhalten wird?
Zwanzig Jahre gibt´s den „Tatort Münster“, zehn den „Tatort Dortmund“, da sind wir tatsächlich das Format, das beim WDR am längsten dabei ist – das ist schon ordentlich! Aber ich hätte niemals gedacht, dass ich das so lange machen würde, als ich damals im zarten Alter von 45 damit angefangen habe… Dass ein Format mit dem gleichen Team so lange läuft, war fernab von dem, was man sich überhaupt vorstellen konnte. Aber es war ja immer auch ein erfolgreiches Team, und von Jahr zu Jahr mit guten Quoten wusste man, dass es auf jeden Fall weitergehen wird!

(Foto: WDR / Uwe Stratmann)
Und wie sind Sie eigentlich dazu gekommen?
Vor der Medizin habe ich Theaterwissenschaften studiert, während des Medizinstudiums auch immer weiter Theater gespielt und Fernsehfilme gedreht, zum Beispiel „Schimanski“ oder „Auf Achse“ – ich war immer der Kriminelle. Ich hatte also schon einige Erfahrung, und dann gab es das neue Format „Tatort Köln“. Ich wusste davon gar nicht so viel, außer, dass ich mit Klaus J. Behrendt den Mann aus dem „Tatort Düsseldorf“ kannte… In den ersten beiden Folgen war ich noch nicht dabei, aber dann kam „Manila“, die dritte Folge, die in vielerlei Hinsicht besonders war: Noch nie zuvor wurde ein Tatort am anderen Ende der Welt gedreht, und auch danach nicht mehr. Das Thema war auch sehr speziell, und hat uns übrigens später dazu gebracht, den Verein „Tatort – Straßen der Welt e.V.“ zu gründen, der in diesem Jahr ebenfalls sein 25. Jubiläum feiert. Das ist mir eine Herzensangelegenheit! Jedenfalls war ein Gerichtsmediziner zu dem Zeitpunkt noch gar nicht vorgesehen. Um aber Tipps für die Maske und das Kostüm zu bekommen, die Leiche realistisch aussehen zu lassen, rief mich einer der Produzenten an. Nach einigem Hin und Her wurde ich dann gefragt, ob ich die Rolle nicht einfach selbst spielen möchte; vielleicht hat auch der Gedanke eine Rolle gespielt, dass es nicht ganz schlecht wäre, bei den Dreharbeiten auf den Philippinen einen echten Arzt im Team mit dabei zu haben. Also habe ich dann mitgemacht, und in der nächsten Folge wieder, und dann wieder, und in der zehnten Folge habe ich endlich auch einen Namen bekommen: Joseph Roth, kurz und knackig, wie der Typ auch ist – der ist ja kein Freund von Schachtelsätzen. So war die Rolle angelegt, und so haben wir sie auch beibehalten…

(Foto: WDR / Colonia Media GmbH / Martin Valentin Menke)
Ich mache aber nach wie vor jedes Mal einen neuen Vertrag für den nächsten Film; ich wollte nicht beim Land Nordrhein-Westfalen und beim WDR verbeamtet sein. Normalerweise macht man das als Schauspieler auch nicht so lange, weil man dann nur noch der einen Rolle zugeordnet wird. Wenn ich heute zum Beispiel bei einer Episode des „Tatort München“ als Verbrecher mitmachen würde, würde sich jeder fragen, warum nun der Kölner Gerichtsmediziner plötzlich in München zum Kriminellen wird. Das konnte ich mir nur erlauben, weil ich meinen Lebensunterhalt ja hauptsächlich als Arzt verdiente; wäre ich nur Schauspieler gewesen, hätte ich das aus Selbsterhaltungszwecken früher beenden müssen. Aber ich bereue das nicht, denn die Rolle hat mir Popularität eingebracht; über zehn Millionen Zuschauer hätte ich mit anderen Fernsehfilmen nicht so leicht erreichen können. Auf der anderen Seite hat aber auch die Rolle davon profitiert, weil ich, anders als andere Schauspieler, ja eben auch die medizinische Ausbildung habe und meine Expertise miteinbringen konnte. So hat sich im Tatort die Rolle des Gerichtsmediziners auch derart entwickeln können, dass sie fünf Jahre später im „Tatort Münster“ zur Hauptrolle wurde. Auch hier durfte ich die Kollegen ein wenig supporten, das hat viel Spaß gemacht. Und ich bin sehr stolz darauf, dass mir echte Gerichtsmediziner sagen, dass ich in meiner Rolle sehr eng am Original bin!

(Foto: WDR / Bavaria Fiction GmbH / Thomas Kost)
Stumme Patienten, die nicht mehr leiden, der Blick in den Körper eines Menschen, um einem Verbrechen auf die Spur zu kommen: Hätte der Beruf des Gerichtsmediziners Sie auch im realen Leben gereizt?
Einige Leute glauben tatsächlich, ich sei Gerichtsmediziner. Als ich letztens mit dem Zug unterwegs war, gab es einen Notfall, ich bin aufgestanden und wollte helfen, und da sagte der Schaffner: Nein, nein, der lebt noch, für Sie ist es noch zu früh. Aber im Ernst: Als Student habe ich drei Semester lang als wissenschaftliche Hilfskraft in der Gerichtsmedizin der Uniklinik Essen gearbeitet; das war schon spannend, aber ich habe es lieber mit den Lebenden zu tun!

(Foto: WDR / Bavaria Fiction GmbH / Martin Valentin Menke)
Was machen Sie sonntagabends um 20:15 Uhr? Schauen Sie sich die eigenen Fälle und die der anderen Teams an?
Wenn ich Zeit habe, mache ich das, ansonsten schaue ich mir das manchmal auch in der Mediathek an. Bei den eigenen Fällen kenne ich ja das Buch und weiß, wer der Mörder ist; da schaue ich dann schon mit einem anderen Blick darauf. Aber ich schaue mir auch gern andere Teams an, zum Beispiel die Kollegen aus München, die noch länger dabei sind als wir, oder Dortmund. Und Münster natürlich auch, weil ich an der Entwicklung beteiligt war und Jan Josef ja auch kenne; das schaue ich mir schon ganz gern an, lasse dafür aber auch nicht alles stehen und liegen.

(Foto: WDR)
Sie wurden im Westerwald geboren, haben in Köln, Marburg und Bochum studiert und leben seit 1986 am Rande des Sauerlandes. War dies eine rein berufsbedingte Entscheidung?
Ich schätze die Region schon sehr, sonst wäre ich nicht so lange geblieben, es hat mich ja keiner gezwungen. Während des Studiums habe ich schon das östliche Ruhrgebiet für mich entdeckt, und jetzt hier so am Rande zu leben, ist wirklich toll. Ich fühle mich hier wohl, weil ich die Direktheit und die Bodenhaftung der Menschen mag, die hier über Generationen aus ganz Europa zusammengekommen sind und ein Miteinander gefunden haben. Ich komme ursprünglich aus Hessen, aber da bin ich einfach zu lange weg, und deswegen vermisse ich das auch nicht. Auch in Berlin hatte ich lange Zeit eine Wohnung, es ist auch ganz schön, mal ein paar Tage da zu sein, aber meine Homebase ist hier! Ich mag diese Jahreszeit, ich mag diese Landschaft; den Blick vom Haarstrang nach links auf die Soester Börde und nach rechts aufs Sauerland habe ich unheimlich gerne. Es gibt da einen Platz, wo man genau diesen Blick hat, da fahre ich mit Freunden aus Berlin, München und Stuttgart hin; alle, die mich besuchen, wissen, wo der Haarstrang ist. Ich gehe gern hier am Möhnesee spazieren oder fahre mal nach Arnsberg runter, ich bin auch Sonderbotschafter für Südwestfalen im Rahmen der Regionale – das hier ist Heimat für mich geworden!

Bis zum nächsten „Tatort Köln“ müssen wir uns zwar noch ein bisschen gedulden, aber es gibt ja auch noch die Mediathek. Und aus eigener Erfahrung kann ich sagen – es lohnt sich auch, den ein oder anderen Fall ein zweites Mal anzusehen!

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Die Fotos ohne eigene Urheberangabe wurden mit freundlicher Unterstützung von Joe Bausch zur Verfügung gestellt; das Titelbild ist von mir.