CHRISTINA GRAF ZWISCHEN SAUERLAND UND KATAR

ODER: OHNE SPORT GEHT´S NICHT!

Vor drei Monaten hast du bestimmt auch vor dem Fernseher oder beim Public Viewing bei der Frauen-Fußball-EM mitgefiebert!? Volle Stadien, eine euphorische Stimmung und gute Einschaltquoten – das Turnier war nicht nur in sportlicher Hinsicht ein echter Erfolg! Und vielleicht hast du dann auch Christina Grafs Stimme gehört, denn die Kirchhundemerin blickt nicht nur auf eine aktive Karriere in der Bundesliga zurück, sie kommentiert auch echte sportliche Großereignisse:

Der Hype darf nicht abflachen

Christina, wir treffen uns hier auf dem Gelände des FC Lennestadt; nicht weit entfernt, nämlich bei der SG Albaum/Heinsberg, hast du deine fußballerischen Wurzeln… Kannst du dich noch an deine Anfänge erinnern?

Ich habe von klein auf mit meinem Papa im Garten Fußball gespielt, bin auch immer und überallhin mitgegangen, wo er Fußball gespielt hat – er hat mich glücklicherweise auch immer mitgenommen –, und dann habe ich mit fünf Jahren bei der F-Jugend der SG Albaum/Heinsberg angefangen. Seitdem habe ich praktisch durchgehend Fußball gespielt.

Ab wann war für dich klar, dass du diesen Sport auch professionell betreiben möchtest?

Da gab es nicht den einen Moment, sondern das hat sich im Laufe der Zeit so entwickelt…. Als ich elf oder zwölf Jahre alt war, bin ich zur Westfalen-Auswahl eingeladen worden. Es hat mir total viel Spaß gemacht, mich mit Anderen zu messen, und vor allem auch, in einer reinen Mädchen-Mannschaft zu spielen. Das war hier in der Gegend eher schwierig, weil in den Vereinen einfach nicht so viele Mädchen waren. Festzustellen, dass es in Westfalen auch einige echt gute Spielerinnen gibt, das war eine schöne Erfahrung! Wir waren immer zusammen im Trainingslager in Kaiserau, haben uns immer weiter verbessert, und ab dem Zeitpunkt habe ich dann auch gemerkt, dass ich gerne mehr damit erreichen möchte.

Deine Karriere als aktive Fußballerin in der Bundesliga wurde durch eine Verletzung sehr abrupt beendet. Lag es da für dich nahe, dass du in den Sportjournalismus wechseln möchtest?

Schon nach meinem ersten Schul-Praktikum bei der „Westfalenpost“ hier in Altenhundem stand fest, dass ich mal in den Journalismus möchte. Zuerst habe ich mich in Richtung Politik bewegt, wollte Krisen-Reporterin werden… Aber als ich dann mit 23 mit dem Fußball aufhören musste, war klar, dass ich den Sport weiter journalistisch begleiten möchte. Er hatte einen so großen Stellenwert in meinem Leben und dann war plötzlich Schluss – das musste ich einfach irgendwie auffangen! Ich hatte auch schon vorher in diesem Bereich gearbeitet, mit 17 bei „Radio Siegen“ angefangen und das parallel zum Fußball gemacht, doch dass ich dann den vollen Fokus auf Sportjournalismus gesetzt habe, war schon ein intensiver Einschnitt.

Die kürzlich beendete Europameisterschaft, bei der du für die „Sportschau“ auch einige Spiele kommentiert hast, hat dem Frauenfußball einen richtigen Schub gegeben. Wo siehst du den Frauenfußball gegenwärtig und in Zukunft?

Das Interessante ist ja: Wir fragen uns das nach jedem Turnier – immer, wenn die Nationalmannschaft gut abgeschnitten hat, gab es einen Hype… Aber ich glaube, jetzt haben wir zum ersten Mal verstanden, dass der nicht wieder abflachen darf, und dass man alles dafür tun muss! Mitte letzter Woche sind die Fußball-Rechte neu ausgeschrieben und sehr prominent verteilt worden, wie ich finde: „DAZN“ und „Magenta“ haben alle Spiele, das Montagabendspiel geht an „Sport 1“, die ARD und das ZDF haben zehn Live-Spiele zusammen. Das ist der richtige Weg, um ein breites Publikum anzusprechen, nämlich offen zu sein, unterschiedliche Spielzeiten anzubieten, die Spiele auch für Familien zugänglich zu machen, und nicht immer nur zu Zeiten zu spielen, an denen man gar nicht ins Stadion gehen kann. Dadurch fließt mehr Geld in die Vereine und die Mannschaften; hoffentlich kommt es da auch wirklich an, sodass die Spielerinnen in der Bundesliga irgendwann auch die Möglichkeit haben, sich voll auf den Sport zu konzentrieren. Und da muss man auch auf die zweite Bundesliga schauen, weil man immer den Unterbau braucht… Nur dann wird der Sport attraktiver und besser!

Man kann vielfach über dich lesen, dass du die erste Frau bist, die ein Fußballspiel der zweiten Bundesliga der Herren live im Fernsehen kommentiert hat. Sollte das heutzutage überhaupt noch betont werden; also spielt es eine Rolle, ob eine Frau oder ein Mann ein Spiel kommentiert?

Ich fände es super, wenn es nicht betont werden würde, aber so weit sind wir nur leider noch nicht … Ich hoffe, dass nicht nur ich, sondern auch meine Kolleginnen einen Teil dazu beitragen können, dass das aufhört. Claudia Neumann ist ein großes Beispiel, die da vorangeht, mit Stephanie Baczyk habe ich eine Kollegin in der ARD, die das auch schon länger macht, und Christina Rann ist jetzt auch für „Magenta“ bei der Weltmeisterschaft dabei. Also, es wird wichtig sein, dass wir immer mehr werden!

Auch bei den Olympischen Spielen in Tokio und bei der Schwimm-WM in Budapest saßest du schon in der Kommentatoren-Kabine. Wie bereitest du dich auf solche Großereignisse und Sportarten vor, in denen du nicht heimisch bist?

Man kann sich da natürlich rein theoretisch reinarbeiten, muss aber manchmal auch selbst etwas ausprobieren: Für die Paralympics in Tokio zum Beispiel bin ich zum Badminton-Verband in ein Trainingslager nach Hannover gefahren. Ich habe mich dann mal in einen Rollstuhl gesetzt und versucht, Badminton zu spielen. Und ich bin kläglich gescheitert. Ich habe nämlich versucht, die Reifen mit einer Hand zu drehen und den Schläger immer oben zu halten. Das Ergebnis war, dass ich mich immer nur im Kreis gedreht habe… Aber es ist wichtig, das auch mal wirklich zu fühlen, zu erleben, was man dann später kommentiert! Und häufig sind solche Verbände auch sehr zugänglich für Reporter. Klar, wir wissen alle, wie man schwimmt, aber das auf WM-Niveau zu betreiben, ist eine komplett andere Welt. Da habe ich viele Informationen vom DSV bekommen; es gab keine dummen Fragen, mir wurde alles beantwortet. Das ist gerade am Anfang superwichtig, wenn man sich in eine solche Sportart einarbeitet.

Du wirst bei der Herren-Fußball-WM in Katar kommentieren; natürlich nur ganz nebenbei bemerkt, für die ARD als erste Frau… Wie groß ist der Druck und wie gehst du damit um?

Ich lasse das einfach auf mich zukommen und versuche, das für mich selbst erst einmal nicht so hoch aufzuhängen. Im Grunde genommen ist es genauso wie bei dem, was ich bisher gemacht habe: Ich gehe vorbereitet da rein, wie in jedes andere Spiel auch, und es ist auch möglich, dass Fehler passieren. Das ist alles live, das muss alles ganz schnell passieren, und es ist menschlich, auch mal einen Fehler zu machen – das passiert meinen Kolleginnen, das passiert aber auch meinen Kollegen. Und ich freue mich wirklich darauf; auch wenn es Katar ist, ist es natürlich etwas ganz Besonderes für mich!

Wenn wir über Katar reden, müssen wir auch über all die unschönen Begleitumstände dieser WM sprechen. Die Menschenrechtslage, die Situation der ausländischen Arbeiter, mögliche Korruption bei der Vergabe und vieles mehr führen sogar zu Boykottaufrufen. Mit welchen Gedanken gehst du nach Katar?

Das habe ich selbstverständlich im Kopf, und natürlich würde ich mir wünschen, dass da viele Dinge anders gelaufen wären… Ich fahre dahin, um Fußballspiele zu kommentieren, und werde mich während meines Jobs auf den Sport konzentrieren. Das heißt aber nicht, dass man alle Begleitumstände, die man dann in der Realität miterlebt, verschweigen muss. Ich bin mir sicher, dass wir mit der ARD ein sehr, sehr gutes Team dabei haben. Wir haben viele unterschiedliche Formate, zum Beispiel „ARD Themen“ mit Jessy Wellmer, die mit Sicherheit auch explizit auf diese Probleme und diese Situation eingeht. Es gibt viele, viele gute Reporter-Kollegen, die da unterwegs sind und bei denen das in jeglicher Form, sei es positiv oder negativ, thematisiert wird. Ich glaube, es wäre zu einfach zu sagen, dass das alles nur schlecht ist, und ich finde es auch richtig und gut, dass wir hinfahren! Die WM zu boykottieren, wäre mir ein bisschen zu einfach. Ich will nicht sagen, dass ich die Leute nicht verstehe, die das tun, aber es ist mir auch wichtig, dahin zu gehen und darüber zu reden, was da passiert.

Von der großen, weiten Welt zurück ins Sauerland: Du stammst aus Heinsberg, wohnst in Lennestadt und bist für die Lokalzeit „Südwestfalen“ auch häufig in der Region unterwegs. Stand es für dich nie in Frage, woandershin zu ziehen?

Nein! Tatsächlich nie… Ich habe zugegebenermaßen mal ein Jahr in Bad Neuenahr gelebt, weil ich da Fußball gespielt habe. Das war aber schon in der Zeit, als ich mich verletzt habe; sprich, ich war gefühlt auch wieder mehr in der Reha in Bonn oder hier zuhause. Ich kann hier einfach nicht weg!

Was bedeutet dir deine Heimat, was sind deine Lieblingsorte oder Plätze hier in der Region?

Das alles hier bedeutet mir unglaublich viel. Mein Zuhause, meine Familie ist hier; meine Eltern, meine Schwester mit ihrem Mann und den zwei Kindern leben hier. Sie versuche ich, so oft wie möglich zu sehen. Ich brauche sie – sie fehlen mir sofort, wenn ich weg bin. Ich reise gerne, ich komme aber auch immer wieder wahnsinnig gerne zurück. Ich lebe mit meiner Freundin hier, und will auch hier bleiben! Ja, und meine Lieblingsplätze… Ich gehe in Heinsberg echt gern ums Erdbeerfeld, da gibt es ein, zwei Bänke, wo ich früher schon gern gesessen und die Ruhe genossen habe. Ich bin einfach gerne in der Natur hier!

Am 18. November fliegt Christina nach Katar, auf Instagram kannst du verfolgen, was sie da erlebt… Und wenn du dann vor dem Fernseher sitzt und ihre unverwechselbare Stimme hörst, dann weißt du: Hier sitzt eine waschechte Sauerländerin am Mikrofon!

https://www.instagram.com/chrissiagraf/

Die Fotos von Christina bei der Arbeit (Foto ARD: Lina Klünker) und am Hennesee wurden mit freundlicher Unterstützung von Christina Graf zur Verfügung gestellt.

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