
ODER: GRÜSSE AUS DER FERNE!
28 Grad im Schatten, strahlend blauer Himmel, rauschendes Meer – ziemlich genau das, was du jetzt brauchst, oder!? Der letzte Urlaub ist schließlich schon sooooo lange her, eine dicke Wolkenschicht liegt über dem Sauerland und kalt ist es auch noch… Da ist ein bisschen Fernweh völlig verständlich, doch so schnell wirst du das vermutlich nicht stillen können. Wer weiß, wann weite Reisen wieder völlig bedenkenlos möglich sein werden!? Also habe ich mir überlegt, ich nehme dich einfach mit zu den Orten, von denen du gerade träumst, und frage ein paar Sauerländer, die schon dort sind. Nicht, weil sie Urlaub machen, sondern weil sie ihre Heimat (mit guten Gründen, wie sich noch herausstellen wird!) längst verlassen und ihre Zelte anderswo aufgeschlagen haben. Den Anfang macht Heiko Grabolle aus Kirchhundem-Heinsberg – also, auf nach Brasilien:
Es ist ein Traum, hier auf der Insel zu leben
Heiko, aufgewachsen im beschaulichen Heinsberg hast du dich schon früh auf in die weite Welt gemacht: Deine Ausbildung zum Koch hast du in Köln gemacht, den Küchen-Meister in Hamburg, hast auf Sardinien, in der Schweiz, Frankreich und England gelebt. Was hat dich schließlich nach Brasilien verschlagen? Und warum bist du geblieben?
Das war meine Frau Gizelle. Ich habe sie im Jahre 2000 auf Mallorca kennen gelernt; genauer gesagt im „Restaurante Ritzi“, wir haben dort gemeinsam gearbeitet. Nach der Sommersaison habe ich sie dann zum ersten Mal in Brasilien besucht. Es hat dann aber noch weitere zwei Jahre gedauert, bis ich 2003 ausgewandert bin. Zwischendurch habe ich noch sechs Monate auf dem deutschen Kreuzfahrtschiff „MS Bremen“ gearbeitet und bin von der Antarktis bis zur Arktis gereist, bin dann zunächst einmal für drei Monate nach Sao Paulo gezogen und habe dort mit meiner (damals noch) Freundin Gizelle zusammengewohnt. Als ich merkte, dass Brasilien ganz anders funktioniert, bin ich zwar noch mal nach Deutschland gezogen, um dort die Meister-Schule in Hamburg zu besuchen; nachdem ich den Meister aber in der Tasche hatte, bin ich dann endgültig nach Brasilien ausgewandert und habe dort meine Frau Ende 2003 geheiratet und wir haben eine Tochter bekommen.




Blumenau, wo du arbeitest, wurde 1850 von deutschen Einwandern gegründet. Wieviel Deutschland steckt in der Stadt an der brasilianischen Küste?
Blumenau liegt etwa sechzig Kilometer von der Küste entfernt, man kann schon fast sagen, es ist eine ländliche Stadt… Wenn man genau hinschaut, erkennt man sehr schnell, dass die Stadt von Deutschen gegründet wurde. Es gibt noch sehr viele Fachwerkhäuser und andere Architekturen, die an Deutschland erinnern. Wenn man durch die Straßen läuft und in die Geschäfte geht, kann man auch ab und zu ein bisschen Deutsch hören. Aber die Meisten sprechen die Sprache nicht mehr! Eine typische Begrüßung hier in Blumenau ist zum Beispiel: „ALLES“ , anstatt „Guten Tag“, oder auf Portugiesisch: „Bom dia“… Was aber wirklich an Deutschland erinnert ist der Park „Proeb“, wo auch das zweitgrößte Oktoberfest der Welt stattfindet. Ich arbeite dort seit 2013 mit und war auch schon der Offizielle Koch dort, bis 2019, vor der Pandemie… Das Oktoberfest in Blumenau ist mit über 500.000 Besuchern eines der größten Feste Lateinamerikas. Hier kann man dann wirklich denken, dass man in Deutschland ist!





Mal abgesehen von der vielen Arbeit: Auf der brasilianischen Insel Florianópolis zu leben muss doch wirklich ein Traum sein… Wir alle hier haben etwas Sonne gerade dringend nötig! Kannst du uns ein wenig von deinen schönsten Brasilien-Momenten erzählen?
Es ist wirklich ein Traum, hier auf der Insel zu leben. Ich vergleiche es immer ein wenig mit Mallorca in den 70er Jahren. Wir haben hier über vierzig Strände, und Florianópolis gehört zu den Städten mit der besten Lebensqualität in ganz Brasilien! Die meisten Tage sind Sonnentage und im Durchschnitt haben wir es immer warm. Es gibt zwar auch einen kalten Winter, aber der dauert höchstens zwei, drei Monate… Was mir hier am meisten Spaß macht, ist, dass man irgendwie immer draußen ist, und auch irgendwie immer im Kontakt zu anderen Menschen. Klar ist das jetzt ein bisschen anders als sonst, aber im Allgemeinen sind die Brasilianer ein sehr, sehr menschliches, kontaktfreudiges Volk. Alle können machen, was sie wollen, und dabei stört es auch keinen, wenn die Kinder den ganzen Tag auf der Straße spielen und Krach machen. Ganz im Gegenteil! Wenn es die Zeit erlaubt (und auch die Pandemie), dann wird hier zusammen „Churrasco“ gemacht, das ist so eine Art Grillen, aber viel entspannter und sozialer als bei uns in Deutschland. Alle Beteiligten bringen etwas mit, und irgendwie nehmen alle am Grillen teil. Einfach lustig und entspannend! An anderen Tagen, wenn es geht, fahren wir zum Strand oder besuchen eins der unzähligen Restaurants am Meer, die meistens ganz einfach sind: Mit Plastikstühlen und mitgenommener Struktur, dafür aber mit eisgekühltem Bier, der besten Aussicht und noch dazu günstig. Was will man mehr!? Das ist übrigens auch einer der größten Unterschiede zwischen Deutschland und Brasilien: In Deutschland muss immer alles so perfekt wie möglich sein, hier in Brasilien kann es auch schon mal ein bisschen einfacher sein… Meine besten Momente sind, wenn ich mit meiner Familie oder Freunden den ganzen Tag im Restaurant sitze, trinke, esse und lache, und dann noch alle gemeinsam den Sonnenuntergang genießen…



Gerade ist es noch schön warm, aber bald beginnt der Winter… Wie ist die aktuelle Situation, was die Pandemie angeht? Und wie hast du das letzte Jahr in dieser Hinsicht erlebt?
Viele meiner Kollegen haben sehr viele Leute entlassen, und Einige von ihnen haben auch schon aufgegeben… Die Gastronomie ist besonders schwer betroffen! Die Pandemie ist etwas ganz Schlimmes, und wir machen uns viele Sorgen um die Inflation, um die Zukunft und um unsere Politik, wie sie damit umgeht. Im Allgemeinen leben wir zur Zeit alle viel isolierter, was „uns“ Brasilianern am schwierigsten fällt. Aber es wird nicht so viel herumdiskutiert wie in Deutschland. Die Allgemeinheit trägt die Maske den ganzen Tag und überall, gar keine Frage. Und über die Impfung ist der Großteil der Brasilianer froh, anstatt über die Marke des Impfstoffe zu diskutieren. Brasilien hat leider sehr spät mit dem Impfen angefangen, aber jetzt läuft es sozusagen im Express-System durch, meistens wie im „Drive Through“, es wird also direkt im Auto geimpft. Meine Schwiegereltern wurden auch schon so geimpft.

Siebzehn Jahre sind eine lange Zeit: Fühlst du dich inzwischen als Brasilianer oder steckt auch noch ein Stück Sauerländer in dir?
Ja, aber klar, ich bin auch noch Mitglied im Schützenverein in Heinsberg. Natürlich lebe ich hier jetzt schon lange Zeit in Brasilien, spreche die Sprache perfekt, habe eine Tochter, da wird man einfach Brasilianer… Aber bei WM-Endspielen, oder bei Musik, bin ich immer noch Deutscher. Ich höre mir auch fast täglich deutsches Radio an. Das geht heute sehr gut über das Internet: Radio Siegen, WDR 2, Radio Bayern, alles gar kein Problem mehr! Wir haben hier auch wirklich gute Internetverbindungen in Brasilien; das sagen mir alle, die mich schon mal hier besucht haben.



Wie würdest du einem Brasilianer das Sauerland beschreiben?
In erster Linie als sehr, sehr schönes und geordnetes Land. Alles folgt seinen Regeln, alles ist sauber, kein Mensch verspätet sich, und die Fahrbahn ist immer frei, ob im Sommer, nach einem Sturm oder im Winter. Und wenn sie doch mal blockiert ist, dann höchstens für kurze Zeit! Das Sauerland ist voll mit Wald, aber nicht so wie hier in Brasilien, nein, es ist ein geordneter Wald, wo man bequem auf breiten Wegen durchlaufen kann. Die Menschen leben im Allgemeinem zurückgezogen, sie leben eher unter sich, und es ist meistens schwierig, von außerhalb in die traditionellen Vereine hereinzukommen. Aber die Sauerländer sind sehr nett, wenn man sie erstmal kennengelernt hat und sie um etwas fragt oder bittet. Und wenn man erst einmal einen richtigen Freund im Sauerland findet, der bleibt dann auch oft ein Freund über all die Jahre! Da ich schon oft mit brasilianischen Freunden und meiner Frau im Sauerland war, ist das so unser Eindruck bis heute.

Welches sind deine schönsten Erinnerungen an unsere Region?
Familie, Bier, Schützenfest, Trecker fahren, im Wald zelten, Weihnachtsbaum aussuchen, mit meinem Hund im Wald spazieren gehen, mit dem Moped den Wald unsicher machen (arme Förster, aber das haben wir damals gemacht), Bergtour, Osterfeuer, Grillen im Garten, beim „Lumme“ in Altenhundem Currywurst essen, nachts nach der Fete irgendwo Pizza bestellen… Oh, da gibt es schon Einiges!

Ist ein Heimatbesuch geplant? Und worauf freust du dich dann am meisten?
In der Regel komme ich jedes Jahr nach Hause. Leider hat es letztes Jahr nicht geklappt, da unser Flug wegen der Pandemie gestrichen wurde. Dieses Jahr haben wir auch noch nichts Festes, wegen der gleichen Situation. Ich denke wir werden erst einmal abwarten, wie sich das weiter entwickelt. Worauf ich mich am meisten freue: Fast wie oben – Familie, Bier, Trecker fahren, spazieren gehen, meine alten Kumpels wieder treffen (da gibt es noch jede Menge, Einige haben mich auch schon hier besucht!) und vor allem eins: Ein schönes orginales Jägerschnitzel mit einem schönen, richtig großen Bier dazu. In diesem Sinne, Grüße an Alle!

Die sendet das Sauerland dir und deiner Familie zurück, lieber Heiko, bleibt gesund! Und kommt bald mal wieder vorbei, damit wir zeigen können, was für ein kontaktfreudiges Völkchen wir doch sind 😉
Und wenn dein Fernweh immer noch nicht gestillt ist, schau doch mal hier rein:
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Die Fotos wurden mit freundlicher Unterstützung von Heiko Grabolle zur Verfügung gestellt.