ODER: SCHÖNER TAG!
Gentleman – ein Wort, das Erwartungen weckt. Gute Manieren, charmante Eloquenz, höfliches Auftreten… Doch obwohl Tilmann Otto zweifelsohne über all das verfügt, meinte ich das gar nicht. Denn seitdem er als „Gentleman“ unterwegs ist, und das sind immerhin schon mehr als drei Jahrzehnte, steht das Wort für melodische Rhythmen, für gute Stimmung und eine ordentliche Portion karibischer Sonne im gelegentlich doch etwas grauen Sauerland. Und genau die hatte der Sänger auch im Gepäck, als er am Freitagabend beim „Bautz Festival“ das Publikum zum Toben, Tanzen und Feiern brachte:
Musik ist mehr als Entertainment
Du bist seit Jahrzehnten eine feste Größe in der Reggae-Szene. Was hat dich ursprünglich zu dieser Musikrichtung geführt, und was fasziniert dich noch immer daran?
Ich glaube, wenn man das erklären könnte, wäre die Magie weg… Meine ersten Kontakte zu dieser Musik kamen durch meinen Bruder und auch durch meine Eltern – das waren klassische Bob-Marley- und Dennis-Brown-Platten. Ich war so elf, zwölf Jahre alt und habe gemerkt, dass mir das gut tut und mich runter bringt. Mit 18 bin ich dann zum ersten Mal nach Jamaika geflogen, weil ein Skateboarder, den ich auf der Domplatte kennengelernt hatte, zurückkam, total positiv verändert war und Mucke mitgebracht hat, die es in meinem Kosmos bis dahin nicht gab. Jamaika hat dann auch meine Perspektive noch einmal total verändert. Ich habe erkannt, dass Musik viel mehr ist als Entertainment, und auch eine echte Message haben kann.
Deine Songs sind oft tiefgründig und gesellschaftskritisch. Woher nimmst du die Inspiration für deine Texte?
Ich höre gern zu, bin ein Beobachter. Durch die Musik habe ich die Möglichkeit, viele unterschiedliche Menschen zu treffen und viele Orte zu bereisen. Dabei bekomme ich die Schwingungen mit und kann durch die Musik manifestieren, was ich denke und fühle. Das ist ein wunderschöner Weg, sich politisch zu äußern, ohne dass man direkt einen Shitstorm bekommt. Ich kann das schön verpacken und die Leute trotzdem aufrütteln.

Wie gehst du an das Songwriting heran? Hast du Rituale oder feste Abläufe, wenn du neue Musik schreibst?
Das ist immer anders, jeder Song ist irgendwie anders entstanden. Oft ist erstmal der Beat da, und dann erst der Text, manchmal habe ich aber auch etwas in meinem Kopf, dass ich unbedingt in einem Song thematisieren möchte, und dann spielt es aber auch wieder zusammen. Es gibt da kein Schema, Musik ist etwas, das man rational nicht erklären kann; entweder es passiert, oder es passiert nicht.

Du hast mit vielen Künstlern zusammengearbeitet, sowohl im Reggae als auch in anderen Genres. Welche Zusammenarbeit hat dich am meisten beeinflusst oder beeindruckt?
Für mich ist es wichtig, dass man mit demjenigen, mit dem man einen Song macht, auch eine menschliche Beziehung hat, die über den musikalischen Aspekt hinausgeht. Wenn wir zusammen im Studio sind, intensiv an einem Projekt arbeiten, ist das sehr intim, da muss auch das Menschliche stimmen. Und das war bisher bei jeder Collabo der Fall, daher gibt es keine, die ich da hervorheben könnte…
Du bist bekannt für deine energiegeladenen Live-Auftritte. Wie bereitest du dich vor?
Ich trinke ein Bier und mache ein Interview. [lacht] Es ist ja jetzt auch nur noch eine halbe Stunde bis zu meinem Auftritt hin, trotzdem rede ich ganz entspannt mit dir, alles gut. Die Nervosität kommt meistens erst zehn Sekunden, bevor ich auf die Bühne gehe.

Was ist das Verrückteste, was dir während eines Konzerts passiert ist?
Da gab es über die Jahre schon so viele verrückte Situationen. Was mir spontan einfällt, ist ein starker Sturm, als wir in Polen auf einem Festival gespielt haben. Da sind schon Teile von der Bühne abgefallen, plötzlich kamen zwanzig Leute, die den Drummer mit dem Drum-Set weggetragen haben, die ganze Bühne musste evakuiert werden… In Jamaika bin ich nach der ganzen Liebe, die mir entgegen kam, mit Flaschen beworfen worden – es hat eigentlich schon alles gegeben.
Arbeitest du gerade an neuen Projekten oder einem neuen Album?
Immer! Ich weiß nicht, wann etwas kommt, aber ich schreibe immer alles auf, mache selbst auch Musik, das ist ein fortlaufender Prozess.
Wie verbringst du deine Zeit, wenn du nicht gerade Musik machst? Gibt es Hobbys oder Interessen, die dich abseits der Musik begeistern?
Ich schlafe supergern, bin gern in der Badewanne oder in der Sauna. Und ich verbringe natürlich sehr, sehr gern Zeit mit meinen beiden Kindern.

Wie schaffst du es, in einer so schnelllebigen Branche authentisch und deinen Wurzeln treu zu bleiben?
Ich mache das, was ich fühle, und mach mir gar nicht so viele Gedanken darum. Ich folge meiner inneren Stimme, und wenn die irgendwann sagt, dass ich eine Pause brauche, dann nehme ich mir die auch.

Du lebst in Köln, nicht wahnsinnig weit vom Sauerland entfernt, hast auch schon beim „Indian Summer“ in Elspe auf der Bühne gestanden. Wie erlebst du die Menschen hier, welche Verbindungen hast du zu der Region?
Lüdenscheid wird ja auch Bergland genannt. Es ist so schon hügelig hier, das mag ich total gerne. Wenn man nicht morgens schon sieht, wer nachmittags zum Kaffee kommt… Ich finde das Sauerland total schön, bin früher auch oft mit meinen Eltern zu Ausflügen hierher gefahren. An die Konzerte hier in der Gegend habe ich auch durchweg eine gute Erinnerung, das ist ein klasse Publikum!
So, zum Abschluss noch die gute Nachricht: Mit vereinten Kräften ist es tatsächlich gelungen, den Bautz zu wecken und zum Tanzen zu bringen. Lassen wir ihn nun wieder ein bisschen schlafen, damit er wieder fit ist, wenn es im nächsten Jahr heißt – der Bautz ist zurück!









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Die Fotos von Gentleman mit Ausnahme des Titelbildes wurden mit freundlicher Unterstützung von ihm (Fotos: Christina Gotz, Pascal Bünning) zur Verfügung gestellt.
