ODER: HOFFNUNG AUF VIER PFOTEN…
Es gibt Themen, die lassen dich nicht mehr los. Du liest darüber, du siehst Bilder, du hörst Geschichten – und irgendetwas zieht sich in deinem Herzen zusammen. Bei mir sind es Hunde aus dem Tierschutz. Und ganz besonders die, die niemand sieht. Die auf der Straße leben. Oder in Sheltern warten. In Rumänien. Kurz vor Weihnachten, in einer Zeit, in der wir über Geschenke, Lichter und Wärme sprechen, wollte ich genau dort noch einmal hinschauen, wo all das fehlt. Deshalb habe ich Dr. Viola Stender-Schulte, Dr. Michael Schulte und Dipl.-Ing. Petra Hohlfeld von „Dogs of the Carpathians e.V.“ aus Lüdenscheid erneut getroffen – zum zweiten Interview. Nicht, weil es spektakulär ist. Sondern weil es wichtig ist:
Das sind ganz besondere, berührende Momente
Seit unserem letzten Interview ist über ein Jahr vergangen. Was ist bei „Dogs of the Carpathians e.V“ seitdem passiert?
Inzwischen konnten wir rund 1.300 Hunde vermitteln, allein im vergangenen Jahr waren es 225. Darüber hinaus finanzieren wir monatlich etwa 50 Kastrationen in Rumänien, darunter regelmäßig auch 20 Katzen. Zusätzlich sind wir Dauerspender bei „Equiwent“ und unterstützen deren Kastrationsprojekte mit weiteren 500 Euro im Monat. Insgesamt haben wir so in diesem Jahr rund 19.000 Euro für Kastrationen aufgebracht. Hinzu kommen etwa 25.000 Euro für Futterspenden an verschiedene Tierschutzorganisationen sowie über 8.000 Euro an Tierarztkosten. Darin enthalten sind auch Operationen in Rumänien, etwa für Hunde, die angefahren wurden. Eine Hündin war dabei so schwer verletzt, dass zunächst kaum Hoffnung bestand – heute ist alles gut verheilt und sie kann wieder laufen.
Musik: Dirk Deimel
Neben finanzieller Hilfe schicken wir regelmäßig Futter nach Rumänien, organisiert von einer deutschen Spedition. In diesem Jahr waren es sieben 40-t-Sattelzüge, insgesamt 37,3 Tonnen Futter, an Transportkosten haben wir 7.500 € gezahlt. Zusätzlich nehmen rumänische Fahrer Futterspenden mit, wenn sie Hunde nach Deutschland bringen, sodass keine Leerfahrten entstehen. So kommen zusätzlich alle zwei Wochen etwa 300 bis 400 Kilogramm Futter zusammen. Darüber hinaus haben wir auch andere Organisationen unterstützt und drei Hilfstransporte in die Ukraine mit 2.900 Kilogramm Trockenfutter bestückt. Außerdem haben wir die private Auffangstation, mit der wir eng zusammenarbeiten, mit einem kostenintensiven Stromaggregat ausgestattet, denn häufig fällt dort der Strom aus. Und dann gibt es natürlich viele weitere kleinere Ausgaben, die im Laufe eines Jahres anfallen.







Wenn ihr an das vergangene Jahr zurückdenkt: Welcher Moment in eurer Tierschutzarbeit hat euch dieses Jahr besonders berührt – und warum gerade dieser?
Ganz besonders war das Schicksal der Hündin Polar, die wir bereits erwähnt haben. Sie wurde auf der Straße angefahren, ihre Wirbelsäule war vollständig durchbrochen. Der Tierarzt gab ihr eine Chance von gerade einmal einem Prozent. Trotzdem wollten wir ihr diese Chance unbedingt ermöglichen. Polar lebt heute in der privaten Auffangstation „B & M dog paradise“ von Byanca und Mario, zwei Deutschen, die rund 60 Hunde betreuen, und mit denen wir sehr eng zusammenarbeiten. Sie haben Polar dauerhaft bei sich aufgenommen, da sie weiterhin Unterstützung braucht. Umso glücklicher sind wir, dass sich ihr Zustand so positiv entwickelt hat und sie inzwischen wieder laufen kann…

Ein kleines Wunder für uns sind auch drei Welpen, die so verängstigt und traumatisiert waren, dass sie sich versteckt und uns sogar gebissen haben. Hätten wir sie nicht gesehen, würden sie wahrscheinlich heute noch so da sitzen. Aber sie hatten das Glück, auf eine Pflegestelle in Baden-Württemberg zu kommen – alle drei sind inzwischen vermittelt und ganz tolle Hunde geworden.




Natürlich gibt es auch die andere Seite. Auf einer unserer Reisen waren wir gerade auf dem Weg zum Flughafen, voller Zufriedenheit über das, was wir bewirken konnten, als wir zwei tote Hunde am Straßenrand liegen sahen. Wir hielten an, um zu prüfen, ob noch Hilfe möglich ist – doch es war zu spät. Diese Hilflosigkeit ist kaum zu ertragen und begleitet uns oft noch tagelang. Was uns zusätzlich Sorgen bereitet: Wir haben aktuell wieder das Gefühl, deutlich mehr Straßenhunde zu sehen als in den Jahren zuvor. Das bestätigt auch Byanca, die an vielen Orten immer wieder neue Welpen entdeckt. Es wirkt wie ein Fass ohne Boden. Trotzdem gibt uns jeder einzelne gerettete Hund Kraft. Wenn ein Tier nach 30 Stunden Fahrt hier ankommt, schwanzwedelnd seine Pflegestelle oder Adoptanten begrüßt und vorher noch nass und zusammengerollt in einem kleinen Kennel saß, wissen wir, dass sich all das lohnt.






Welche Fähigkeiten, Eigenschaften oder Strategien helfen euch, die enorme Menge an Verantwortung zu tragen, die mit eurer Arbeit verbunden ist?
Unser Alltag mit unseren Berufen, den eigenen Hunden und der Tierschutzarbeit ist sehr gut organisiert – und das muss er auch sein. Bei „Dogs of the Carpathians e.V.“ sind wir ein kleines Team: Wir drei, Sibylle Stein sowie Gabriele Kossmann in Süddeutschland. Dazu kommen über 40 Pflegestellen, die ebenfalls betreut werden müssen. Ein großer Teil der Arbeit besteht aus Verwaltung. Die Hunde werden vollständig geimpft, gechippt und entwurmt, alles muss dokumentiert werden. Um das leisten zu können, ist es entscheidend, sachlich zu bleiben und die Aufgaben strukturiert abzuarbeiten. Natürlich spielen Emotionen immer eine Rolle, aber die müssen wir in vielen Momenten bewusst zurückstellen. Das ist extrem schwierig – aber unverzichtbar.

Was ist für euch persönlich die größte Herausforderung im Alltag mit einem Hund aus dem Auslandstierschutz – und was die größte Freude?
Die größte Herausforderung ist, sich vollständig auf ein Tier einzulassen und es mit all seinen Eigenheiten und möglichen Problemen anzunehmen. Besonders schmerzhaft sind Rückgaben, wenn ein Hund angeblich „nicht funktioniert“. Das hat nichts mit dem Tier zu tun, sondern mit falschen Erwartungen auf menschlicher Seite. Deshalb legen wir im Vorfeld großen Wert auf Aufklärung, intensive Vorgespräche und Vorkontrollen. Auch nach der Vermittlung begleiten wir die Adoptanten so gut es geht weiter. Die größte Freude ist es, den Hunden ein sicheres Zuhause zu schenken. Zu sehen, wie ein Hund, der bisher kaum etwas kannte, zum ersten Mal über eine grüne Wiese läuft oder sich in ein warmes Körbchen legt – das sind ganz besondere, berührende Momente.







Gibt es in Rumänien aktuell Entwicklungen oder politische Entscheidungen, die euch besonders Hoffnung machen – oder Sorgen bereiten?
Es gibt zwar eine Kastrationspflicht in Rumänien, und ab 2027 soll auch eine Chippflicht eingeführt werden. Doch solange sich die Menschen nicht verantwortlich fühlen und diese Vorgaben kaum kontrolliert werden, bleibt vieles Theorie. Hinzu kommt, dass Hundefänger für jeden Hund, den sie in Tötungsstationen bringen, 50 Euro aus EU-Geldern erhalten. Das macht dieses System leider lukrativ – selbst dann, wenn es sich um Hunde mit Besitzern handelt. Solange sich daran nichts ändert, überwiegen bei uns die Sorgen deutlich die Hoffnung.










Viele Menschen möchten helfen gerade jetzt zu Weihnachten, wissen aber nicht wie. Welche Art Unterstützung ist für euch im Moment am wertvollsten – Zeit, Spenden, Pflegestellen, Sichtbarkeit?
Im Grunde alles davon. Wir sind dringend auf zuverlässige Pflegestellen angewiesen, ohne sie können wir unsere Arbeit nicht fortsetzen. Ebenso wichtig sind Futter- und Geldspenden, da wir keinerlei weitere Unterstützung erhalten. Sehr hilfreich ist außerdem Sichtbarkeit: Wenn unsere Arbeit und unsere Hunde in den sozialen Medien geteilt werden, erreichen wir mehr Menschen – und schaffen neue Chancen.

Wenn ihr ein Weihnachtsgeschenk für die Straßenhunde in Rumänien aussuchen dürften – was stünde ganz oben auf eurer Wunschliste?
Unser größter Wunsch wäre, dass dort eines Tages ähnliche Verhältnisse herrschen wie bei uns: Jeder Hund hat ein eigenes Körbchen, ein sicheres Zuhause und wird geliebt. Angesichts von fünf bis sechs Millionen Straßenhunden ist das ein großes, wahrscheinlich sogar unrealistisches Ziel. Und dennoch ist es genau das, wofür wir jeden Tag arbeiten: Dass Straßenhunde irgendwann der Vergangenheit angehören.

Vielleicht liest du diese Zeilen mit einer Tasse Tee in der Hand. Vielleicht zwischen Geschenkekauf und Kerzenschein. Vielleicht auch ganz still. Was bleibt, ist die Gewissheit: Tierschutz ist kein fernes Thema. Er beginnt genau hier – bei dir. Du musst nicht ALLES verändern. Aber du kannst ETWAS verändern. Mit Aufmerksamkeit. Mit Weitererzählen. Mit einer Pflegestelle, einer Spende oder einfach mit der Entscheidung, hinzusehen statt wegzuschauen. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!

DoC – Dogs of the Carpathians e.V., Dr. Viola Stender-Schulte, Dr. Michael Schulte und Dipl.-Ing. Petra Hohlfeld, Gneisenaustraße 8, 58511 Lüdenscheid
https://www.instagram.com/dogsofthecarpathians/
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Die Fotos mit Ausnahme des Titelbildes und des letzten Fotos wurden mit freundlicher Unterstützung von Viola Stender-Schulte zur Verfügung gestellt.
