SVEN HANNAWALD ZURÜCK IM SAUERLAND

ODER: MENTALE GESUNDHEIT STATT MEDAILLEN…

Kennst du das Gefühl, wenn du manchmal das Tempo deines eigenen Lebens kaum noch mitbekommst? Wenn Termine, To-dos und Ansprüche von allen Seiten auf dich einprasseln, und du dich fragst, wo eigentlich du bleibst? Genau darüber spricht Sven Hannawald heute offen. Der frühere Skisprung-Star weiß, was es heißt, an Grenzen zu gehen, körperlich, mental und emotional… Zwei Jahre ist es her, dass wir zuletzt miteinander gesprochen haben, nun war er für den „Volksbank Dialog“ zurück im Sauerland. Die Gelegenheit also, mal nachzuhören, was in der Zwischenzeit passiert ist, denn Sven ist heute mehr als der ehemalige Spitzensportler, den du vielleicht noch von den Schanzen kennst:

Ich habe die Schanze gerochen

Sven, unser letztes Interview liegt ziemlich genau zwei Jahre zurück, was ist in dieser Zeit bei dir passiert – außer, dass du im letzten Jahr wieder die Goldmedaille im Vierer-Wok bei der WOK-WM in Winterberg geholt hast?

Ich habe durchgefeiert – bis heute… [lacht] Dann kam der Winter, in dem ich wieder als Experte für die ARD unterwegs war. Besonders kurios war die Weltmeisterschaft in Trondheim, die wegen der manipulierten Anzüge und der Disqualifikationen der Norweger im Chaos endete. Ab dem Frühjahr war ich wieder viel auf Veranstaltungen unterwegs, bei denen ich über mentale Gesundheit gesprochen habe. Mir ist es wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Menschen endlich aufwachen und auch wieder etwas für sich selbst tun. Ja, und jetzt ist das Jahr schon wieder fast vorbei – die neue Saison steht bereits vor der Tür.

Du bist Speaker, Experte, Familienmensch – welche dieser Rollen gibt dir am meisten zurück?

Das ist das Gesamtpaket. Ich könnte keinen Bereich herausnehmen und sagen, dass ich damit allein für den Rest meines Lebens glücklich wäre – das Leben besteht aus vielen Facetten. Dementsprechend lebe und liebe ich all das: Die Familie genauso wie die beruflichen Themen, die ich in verschiedene Richtungen ausleben darf. Daneben ist es mir auch sehr wichtig, Zeit für mich selbst zu haben, mich weiterzuentwickeln und Dinge zu tun, die mir Spaß machen. Genau dieses Gesamtpaket fühlt sich richtig gut an.

Deine Frau Melissa ist als ehemalige Fußballspielerin ebenfalls Profi-Sportlerin. Welche Rolle spielt Sport in eurem Alltag?

Wir sehen bei unseren Kindern, wie wichtig es ist, was ihnen vorgelebt wird. Es liegt an uns Eltern, ihnen ein Bewusstsein für ihren Körper zu vermitteln und zu zeigen, was ihnen guttut. Dem Handy ist es egal, ob es nur herumliegt – unserer Gesundheit aber nicht. Wenn wir uns zu wenig bewegen, wird das für die nächste Generation zum Problem. Wir leben ihnen das aktiv vor und hoffen, dass unsere Kinder das später auch an ihre Kinder weitergeben.

Viele verbinden dich immer noch mit dem Skispringen. Fällt es dir manchmal schwer, „der ehemalige Skispringer“ zu sein – oder hast du längst deinen Frieden mit dieser Rolle gefunden?

Ich habe das für mich abgeschlossen. Es ist ein schönes Kapitel meines Lebens, das so auch nicht mehr zu toppen ist. Ich bin dankbar, dass ich das alles erleben durfte – mit allen Höhen und Tiefen. Die Zeit nach dem Aufhören war allerdings schwierig, weil man immer wieder mit sich ringt, ob man nicht doch hätte weitermachen sollen. Damals konnte ich das aktuelle Sprunggeschehen auch kaum verfolgen, weil sonst wieder Zweifel aufgekommen wären, ob das Karriereende richtig war. Jetzt, mit dem zeitlichen Abstand – und auch durch meine Zeit im Autorennsport – blicke ich sehr positiv darauf zurück und freue mich auf die neue Saison!

Du bist für die ARD im Einsatz als Skisprung-Experte. Wie blickst du auf die kommende Saison?

Es wird spannend! Philipp Raimund hat den Sommer-Grand-Prix gewonnen, aber ich weiß, dass die Nationen im Sommer sehr unterschiedliche Wege in der Vorbereitung gehen. In den Wettkämpfen, bei denen er am Start war, hat Philipp auf jeden Fall überzeugt – auch auf kleineren Schanzen. Auch Andreas Wellinger hat sich weiterentwickelt. Deshalb ist die Vorfreude und Hoffnung bei mir groß, endlich meinen Nachfolger für die Tournee zu finden – also, dass endlich wieder ein Deutscher gewinnt. Was das Materialthema betrifft: Es gibt viele klare Regeln – die gab es in den vergangenen Jahren aber auch, nur wurden sie seltsamerweise nie konsequent eingehalten. Daher bin ich beim „Neuen“ etwas gebremst optimistisch. Es klingt zwar gut, aber nötig wäre es nicht gewesen, wenn man die alten Regeln einfach klar durchgesetzt hätte.

Du hast in den letzten Jahren dein Engagement für mentale Gesundheit stark ausgebaut – was ist derzeit aus deiner Sicht die wichtigste Aufgabe in diesem Bereich?

Das Interesse wächst, immer mehr Menschen sind betroffen – das merke ich auch daran, dass ich zu immer mehr Veranstaltungen eingeladen werde. So kann ich das Bewusstsein für mentale Gesundheit weiter vertiefen. Wir leben in einer Welt, in der alles einfacher, schneller und effizienter funktioniert – gleichzeitig fehlen aber die natürlichen Grenzen, die körperliche Arbeit früher gesetzt hat. Wenn mein Rücken schmerzt, fragt mich niemand, ob ich etwas Schweres tragen kann. Wenn ich aber im Büro merke, dass es mir zu viel wird, sage ich nicht: „Ich schaffe die E-Mail nicht mehr.“ Dafür würde man ausgelacht. Heute arbeiten viele selbst mit 40 Grad Fieber noch vom Bett aus – das gab es früher nicht. Damals war man krank, und der Körper bekam die Pause, die er brauchte. Auch das klassische Wochenende, an dem man von Freitagabend bis Montagmorgen nicht erreichbar war, existiert so kaum noch. Heute wird am Wochenende oft das nachgeholt, was man unter der Woche nicht geschafft hat. Früher stand das Wochenende für Regeneration und zum Akku-Aufladen – genau das fehlt vielen heute. Das müssen alle lernen – von der Führungskraft bis zum Azubi –, dass hier eine Kehrtwende nötig ist.

Früher war dein Leben getaktet von Training, Wettkämpfen, Terminen. Wie sieht heute ein freier Tag bei dir aus?

Ich warte nicht darauf, ob sich freie Tage ergeben, sondern plane sie bewusst ein. Zwei- bis dreimal pro Woche sollte Zeit für die Familie und ganz bewusst auch nur für mich bleiben – das rate ich auch den Menschen auf meinen Veranstaltungen. Wenn dann doch etwas dazwischenkommt, wird eben verschoben. Es geht darum, Selbstverantwortung zu leben und auf das innere Gefühl zu hören, das ständig mit uns kommuniziert. Das schützt uns vor Überlastung und ist entscheidend für unsere mentale Gesundheit.

Du hast kürzlich bei „Schlag den Star“ teilgenommen. Das Duell mit Jan Ullrich war nicht nur sportlich interessant, sondern auch emotional aufgeladen – zwei ehemalige Spitzensportler mit intensiver Geschichte. Wie hast du die Atmosphäre im Studio erlebt?

Ich habe mich sehr gefreut, als die Paarung bekanntgegeben wurde. Ich mag Jan und kenne ihn schon lange. Wir hatten damals denselben Servicemitarbeiter bei adidas und haben uns 1997 kurz nach seinem Toursieg kennengelernt. Schon damals haben wir gemerkt, dass uns etwas verbindet: Wir kommen beide aus dem Osten, haben ähnliche Lebensgeschichten, viele Menschen für unsere Sportart begeistert – und kennen beide auch die Schattenseiten des Erfolgs, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Ihn jetzt wiederzutreffen, zu sehen, dass es ihm gut geht und dass er immer noch derselbe Typ ist, war richtig schön. Klar, ich war ein bisschen enttäuscht, dass ich am Ende nicht gewonnen habe – der Ehrgeiz ist schließlich noch da. Aber an dem Abend ging es um andere Dinge, und ich habe es Jan wirklich gegönnt. Wir haben ausgemacht, dass wir uns bald in seinem Museum wiedersehen – und wer weiß, was uns sonst noch einfällt.

Viele Zuschauer fanden spannend, dass du offen mit Nervosität umgegangen bist. Wie hat sich das Lampenfieber bei einer Unterhaltungsshow im Vergleich zu einem Skisprung-Wettkampf angefühlt?

Das war etwas Neues für mich, weil ich schon lange nicht mehr in so einer großen Livesendung war. Eine gewisse Grundaufgeregtheit bin ich während der ganzen Show nicht losgeworden. Das war ungewohnt – eigentlich kenne ich mich anders. Aber die Sendung hat durch ihre Länge und ihren Stellenwert einfach eine andere Wirkung als kleinere Formate, an denen ich sonst teilnehme. Das hat mich in manchen Situationen etwas gehemmt, aber insgesamt war es eine tolle Erfahrung, dabei zu sein.

Nun bist du für den „Volksbank Dialog“ in Meschede und Attendorn, Willingen und Winterberg sind nicht weit weg. Ist das Sauerland-Feeling wieder da?

Ich freue mich erstmal, dass ich hier so schönes Wetter erwischt habe… Ich kenne die Region gut – die Fachwerkhäuser, die eher dünne Besiedlung, die starke Industrie und die im Vergleich zu Bayern etwas niedrigeren Hügel. Es ist immer wieder faszinierend, nur ein paar Kilometer von Willingen entfernt zu sein. Ich habe die Schanze gerochen, aber nicht gesehen – in dieser Saison bin ich nicht dort, weil das ZDF den Weltcup überträgt. Aber viel wird sich nicht verändern, sodass ich sie übernächstes Jahr sicher wiedererkenne.

Wenn Sven demnächst wieder ins Sauerland kommt, dann sicher nicht nur, um auf die Schanze zu schauen – sondern um mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die wie er mehr Balance ins Leben bringen wollen. Bis dahin kannst du ihm auf seinen Kanälen folgen und dich inspirieren lassen, wie er über mentale Gesundheit, Familie und neue Perspektiven spricht. Und wer weiß – vielleicht siehst du ihn schon bald wieder hier zwischen den Hügeln, wo Bodenständigkeit und Bewegung perfekt zusammenpassen…

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Die Fotos mit Ausnahme des Titelbildes wurden mit freundlicher Unterstützung von Sven Hannawald zur Verfügung gestellt.

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