EIN HERZ FÜR DIE „DOGS OF THE CARPATHIANS“

ODER: TIERSCHUTZ HAT VIELE FACETTEN…

Ob du es mir glaubst oder nicht, jedes Thema, das ich hier vorstelle, liegt mir absolut am Herzen, ansonsten würde es keinen Platz auf „Zauberhaftes Sauerland“ finden… Doch dieses Mal ist alles anders und geht noch viel tiefer, denn kaum etwas berührt mich so sehr wie Hunde aus dem Tierschutz! Und deswegen war das Gespräch mit Dr. Viola Stender-Schulte und Dr. Michael Schulte für mich etwas ganz, ganz Besonderes – die Zahnärztin und der Rechtanwalt aus Lüdenscheid retten nicht nur zahlreiche Straßenhunde und schenken ihnen ein neues Leben, sie sorgen auch gemeinsam mit ihren Unterstützern von „DoC e.V.“ dafür, dass sich die Situation in Rumänien dauerhaft verbessert:

Wir möchten nachhaltig etwas verändern

Wie kam es dazu, dass Straßenhunde in Rumänien zu eurer Herzensangelegenheit wurden?

Viola: Das war purer Zufall… Wir haben früher viele Reisen gemacht, waren in der ganzen Welt unterwegs, haben uns auch damals schon sehr für Tierschutz interessiert, allerdings unter Wasser. Wir sind mit Haien getaucht, haben mit dem bekanntesten Hai-Verhaltensforscher sozusagen viele Wochen unter Wasser verbracht, viel über den Schutz der Haie gelernt und uns dafür eingesetzt. Parallel dazu sind wir auch regelmäßig mit Hunden aus dem Tierheim Gassi gegangen und über Facebook zufällig auf den Tierschutz in Rumänien aufmerksam geworden. Da war ein Bericht über ein Tierheim mit über 900 Hunden in Câmpulung. Das hat mich so sehr berührt, dass ich Michael 2017 überredet habe, dorthin zu fliegen – drei Tage Bukarest und ein Tag Shelter sollten es werden, es kam dann genau andersrum. Es war wirklich furchtbar, ich habe mir vorher nicht vorstellen können, wie schlecht die Verhältnisse für die Tiere dort waren. Wir haben dann angefangen, die Vereine vor Ort zu unterstützen und Pflegehunde bei uns aufzunehmen, mittlerweile in all den Jahren über fünfzig.

Wie entstand dann die Idee, den Verein „DoC e.V.“ zu gründen? Was waren die ersten Schritte bei der Vereinsgründung?

Viola: Zu Anfang der Corona-Zeit wurde das Tierheim in Câmpulung nicht mehr von den Vereinen vor Ort unterstützt, stand plötzlich ohne Hilfe da; da habe ich ein zweites Mal Überzeugungsarbeit bei Michael geleistet, und wir haben gemeinsam mit unserer Freundin Petra Hohlfeld, die mit uns auch damals schon mehrere Male in Rumänien war, und fünf anderen Personen aus Lüdenscheid den Verein gegründet. Michael ist in einigen anderen Vereinen aktiv und kennt sich beruflich natürlich in den Formalitäten gut aus. Vorher hatte ich Fortbildungen gemacht, und wir haben uns um die Genehmigungen gekümmert – das ist alles vom Veterinäramt des Märkischen Kreises ganz strikt geregelt, und wir werden natürlich auch regelmäßig kontrolliert, was wir sehr befürworten, denn der illegale Welpenhandel muss unterbunden werden. Petra hat sich dann direkt bereit erklärt, im Vorstand Kassenwartin zu werden, was aufgrund des Umfangs unserer Arbeit inzwischen wirklich viel Arbeit bedeutet.

Wir wollten eigentlich auch nur ganz klein starten, Kastrationsprogramme vor Ort unterstützen, Hundehütten spenden, vielleicht 60 Hunde im Jahr vermitteln. Wir hatten das große Glück, dass sich uns die Tierschützerin Gabriele Kossmann aus Kehl in Baden-Württemberg angeschlossen hat, die schon lange Pflegestelle war, sehr viele Pflegehunde bei sich aufgenommen hat und weitere Pflegestellen generiert hat, sodass wir in zwei Jahren 550 Hunde aus dem Shelter holen konnten. Hierbei unterstützt auch ganz besonders unser Vereinsmitglied Sibylle Stein, die selbst inzwischen auch schon fast hundert Pflegehunde gehabt hat. Dann kam es leider zu einem Cut in Câmpulung; eine schwierige Situation. Für uns war das sehr traurig, weil es das absolute Herzensprojekt war, aber es ist ja nicht so, dass es zu wenige Hunde in Rumänien gibt, die dringend Hilfe brauchen. Wir haben dann auch drei andere Tierheime in den Karpaten gefunden, aus denen wir nun regelmäßig Hunde und auch Katzen nach Deutschland holen.

Seit 2017 reist ihr regelmäßig nach Rumänien. Was sind die größten Herausforderungen, denen ihr vor Ort begegnet, wenn ihr die Hunde besucht?

Viola: Zunächst einmal, dass alle Hunde täglich satt werden, dann, dass alle Hunde ein schützendes Dach über dem Kopf haben. Im Winter ist es besonders hart, in den Karpaten gibt es eine Menge Schnee – wer da keine Hütte hat, kann erfrieren. Schwierig ist natürlich auch, zu entscheiden, welche Hunde wir in die Vermittlung aufnehmen. Wir sind auch mehrmals im Jahr vor Ort und schauen uns die Hunde selber an. Die jungen, hübschen Welpen will jeder haben, aber wenn die ein Jahr im Shelter leben, sind die schwer vermittelbar. Die haben da kaum menschlichen Kontakt, wenig menschliche Fürsorge, anders als in deutschen Tierheimen. Da wird das Futter hingeworfen, kurz sauber gemacht, und das war es dann in der Regel auch. Deswegen vermitteln wir die jungen Hunde schnellstmöglich, aber wir haben auch schon viele ältere oder dreibeinige Hunde gerettet. Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass wir nicht alle Hunde retten können, aber die wir aufgenommen haben, denen haben wir wirklich das Leben gerettet…

Gibt es einen speziellen Hund oder eine Rettungsaktion, die euch besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Michael: Das war ein großer, weißer Herdenschutzhund, damals vierjährig. Er hieß „Mojo“, war auch in diesem riesigen Shelter, und wir haben uns beide so richtig in den verliebt. Bei so einem Hund ist es aber extrem unsicher, wie der reagiert, wenn der nach Deutschland kommt, weil der noch nie ein Dach über dem Kopf hatte, wenn man den nach Hause holt und plötzlich im Schlafzimmer hat. Wir haben uns das getraut, ihn geholt, und es lief auch erst alles super. Ein total toller Hund! Dann ist er aber richtig mit unserer „Flocke“ aneinandergeraten, beide sind sehr dominant, und das passte einfach nicht. Wir mussten dann im Haus die Hunde zu trennen, was wirklich schwierig war. Zum Glück haben wir dann ganz tolle Adoptanten gefunden, in Halver auf einem Bauernhof, aber die riefen nach einer Woche an und sagten, dass sie es nicht schaffen, weil „Mojo“ so eine unglaubliche Ausstrahlung und Präsenz hat. Wir sind dann dahin gefahren, die kamen uns weinend entgegen, wollten den Hund eigentlich gar nicht abgeben. Dann haben wir drei Stunden in der Küche gesessen, nochmal über das Verhalten von Herdenschutzhunden gesprochen, und seit dem Tag hat es funktioniert, es ist der glücklichste Hunde der Welt und wir haben immer noch Kontakt zu den Adoptanten. Das hat uns alles schon sehr berührt – genauso wie die Geschichte von „Kimba“: Wir waren in Rumänien unterwegs, um die Straßenhunde zu füttern, und dann sprang er uns aus dem Wald quasi direkt vor das Auto. So nach dem Motto: Bitte nehmt mich mit! Das haben wir dann auch gemacht, er hat sich total gefreut, als er bei uns im Auto saß. Ein paar Wochen später ist er ausgereist, kam erst zu uns, ist dann aber auch glücklich vermitteln worden… Und nicht zu vergessen – unsere „Flocke“: Die wurde mit vier Monaten in einem Leinenbeutel abgegeben, keiner wusste mehr über sie, sie war in dem Shelter ganz alleine, überhaupt nicht sozialisiert. Sie wurde vermittelt, kam aber zurück, und wir haben immer gesagt, wenn ein Hund zurückkommt, dann behalten wir ihn. Und das haben wir auch gemacht. Sie ist bis heute ein bisschen anders, besonders im Kontakt mit fremden Hunden – unsere „Flocke“ ist kein normaler Hund, aber wir lieben sie über alles. Im letzten Jahr ist dann auch „Meo“ bei uns hängengeblieben. Er wurde mit zehn winzigen Geschwistern ohne Mutter im Shelter abgeben, und alle haben überlebt und sind jetzt glücklich bei ihren Adoptanten. Auch ihn hatten wir eigentlich als Pflegehund, konnten ihn dann aber einfach nicht mehr abgeben.

Als Zahnärztin bzw. Rechtsanwalt ist eure Freizeit sicherlich knapp bemessen. Wie koordiniert ihr eure Arbeit mit dem intensiven Engagement im Tierschutz?

Viola: Ich habe eine Tierschutz-Arbeitszeit von vier bis sechs Stunden am Tag – natürlich alles ehrenamtlich. Das Meiste läuft über das Handy, ich betreue mit Sibylle Stein zusammen ca. 30 Pflegestellen und wir haben schon über 1000 Hunde vermittelt. Es ist schon ziemlich viel geworden, aber wir haben noch genug Zeit für unsere eigenen Hunde und ein paar andere Hobbys haben wir natürlich auch noch, aber das ist schon zurückgegangen. Das macht aber nichts, denn das Engagement im Tierschutz ist sehr erfüllend!

Wie würdet ihr die Situation der Straßenhunde in den Karpaten beschreiben? Hat sich die Lage in den letzten Jahren verbessert oder verschlechtert?

Michael: Ich habe das Gefühl, dass man weniger Hunde auf der Straße sieht als vor sieben, acht Jahren. Aber es gibt noch viele Tötungsstationen; es gibt Hundefänger, die von europäischen Geldern bezahlt werden, für jeden gefangenen Hund gibt es fünfzig Euro. Wenn sich nach vierzehn Tagen kein Besitzer gemeldet hat, werden die Tiere da tatsächlich getötet, und zwar nicht mit einer Spritze und ohne Schmerzen, so wie wir uns das vorstellen… Es gibt Tierschützer, die in diese Tötungsstationen gehen und schauen, wen sie da rausholen können – das ist für uns total schlimm, denn wir entscheiden dann anhand eines Fotos, wer gerettet werden kann und wer zurückbleiben muss. Aber wir müssen ja auch abwägen, wer potentiell für ein neues Zuhause in Deutschland in Frage kommt, wir sind ja kein Tierheim und vermitteln auch keine Hunde dorthin. Wir sind reine Privatpersonen, haben kein Tierheim, das uns unterstützt.

Wie sieht eine typische Rettungsmission in Rumänien aus? Könnt ihr den Ablauf schildern – von der Identifikation eines Hundes bis zur Vermittlung in ein neues Zuhause?

Viola: Der Hund wird bei der Aufnahme im Shelter entwurmt und geimpft, er muss ja alle Impfungen haben, ehe er ausreisen darf. Dann steht eine tierärztliche Untersuchung und Freigabe an, er bekommt die Dokumente und den EU-Heimtierausweis. Derweil kümmern wir uns um den Transport, da haben wir ein seriöses Transportunternehmen, mit dem wir seit vier Jahren zusammenarbeiten. Wenn alles geplant ist, werden in Rumänien viele Stationen angefahren; die Fahrt dauert dann ca. dreißig Stunden – in einem gut klimatisierten bzw. im Winter gut beheizten großen Transporter. Die Ankunft der Hunde erfolgt an verschiedenen Punkten in Deutschland; die Pflegestellen und neuen Besitzer werden vorab informiert, wann sie den Hund an welchem Ort entgegennehmen können. Ganz wichtig ist, dass der Hund bei der Übergabe gut gesichert ist, Sicherheitsgeschirr, doppelte Sicherung mit zwei Leinen, dann direkt ab ins Auto und anschließend ins Haus. Das hat noch keiner der Hunde von innen gesehen, also heißt es: Erstmal ankommen lassen! Wenn es eine Pflegestelle ist, werden Fotos und eine möglichst genaue Beschreibung von dem Hund angefertigt, die dann auf unserer Homepage und in den sozialen Medien gepostet werden, damit er möglichst schnell ein liebevolles Für-immer-Zuhause findet. Dazu muss eine Selbstauskunft ausgefüllt werden, da sind wir sehr streng – wir geben zum Beispiel keine größeren Hunde mit Herdenschutztendenz in Mehrfamilienhäuser oder in die Innenstadt. Die Pflegestellen nehmen dann Kontakt mit den Interessenten auf, besprechen in ein paar Telefonaten, ob der Hund und der potentielle neue Besitzer zusammenpassen. Wenn alles stimmt, machen wir Vorkontrollen vor Ort, bevor der Hund mit Vertrag und Schutzgebühr vermittelt wird. Wir stehen auch im Anschluss für die Nachbetreuung und mögliche Fragen bereit. Natürlich ist das sehr viel Arbeit, aber wir möchten das nicht leichtfertig machen – die Hunde haben schon so viel erlebt, da muss einfach alles passen!

Wie können Menschen, die eure Arbeit unterstützen möchten, konkret helfen? Welche Möglichkeiten gibt es, sich aktiv einzubringen oder den Verein finanziell zu unterstützen?

Michael: Aktiv einbringen definitiv als Pflegestelle! Da wir ja hier vor Ort keine Einrichtung haben, die uns unterstützt, sind wir immer auf der Suche nach Pflegestellen – auf die sind wir angewiesen, ohne die klappt es nicht. Das ist aber auch eine große Aufgabe, man muss sich schon sicher sein, dass man das möchte… Ansonsten kann man Geld spenden – aus den Vermittlungsgebühren und Spenden haben wir bisher mehrere hunderttausend Euro zum Beispiel für Futter, Tierarztkosten, Instandsetzung verschiedener Tierheime in Rumänien und für Kastrationsaktionen aufgewendet; so konnten wir inzwischen mehr als tausend Tiere kastrieren und nachhaltig ein zehntausendfaches Tierleid verhindern. Dazu muss man auch Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung leisten. Denn es ist so wichtig, dass sich nachhaltig etwas ändert! Straßenhunde gibt es natürlich auch in anderen Ländern, aber in Europa sind tatsächlich die meisten in Rumänien. Schließlich freuen wir uns auch immer über Futterspenden. Hier organisieren wir mehrmals jährlich Transporte mit mehreren Tonnen Futter nach Rumänien.

Habt ihr das Gefühl, dass sich das Bewusstsein für den Tierschutz in Deutschland und Rumänien in den letzten Jahren gewandelt hat? Wenn ja, in welche Richtung?

Viola: Es ist schwierig. Es gibt immer mal wieder negative Kommentare in den sozialen Medien, zum Beispiel die Frage, warum wir uns nicht um Kinder in Rumänien kümmern… Da sind wir wirklich manchmal sprachlos. Wir sind ein privater Tierschutzverein, investieren eine Menge Zeit und auch viel privates Geld, um zu helfen – da ist so etwas schwer nachvollziehbar, zumal es ja jedem klar sein müsste, dass sich ein Tierschutzverein für Tiere engagiert. Auch kommt der Vorwurf, dass die Tierheime hier schon voll genug seien – hier muss man sagen, dass die ansässigen Tierheime auch regelmäßig auf eigene Initiative Hunde aus Rumänien holen, damit sie überhaupt welche vermitteln können. Sicherlich gibt es Gegenden in Deutschland, wo das anders ist, aber wir nehmen keinem Hund einen Platz weg. Da muss man einfach mal objektiv bleiben und sich an Fakten halten… Aber wir lassen uns davon nicht runterziehen – wenn wir an die Hunde denken, ist alles wieder gut!

Ihr seid beide im Sauerland aufgewachsen, habt für das Studium aber auch in der Großstadt gelebt. Was hat euch dazu bewogen, in die Heimat zurückzukehren?

Michael: Familie, Freunde, Heimat. Auch während des Studiums sind wir fast jedes Wochenende hierher gekommen, wir fanden es schon immer toll hier und sind total fest verwurzelt. Wir lieben den Wald noch mehr, seitdem wir Hunde haben. Und mehr brauchen wir nicht – weite Reisen machen wir allein schon wegen unserer Hunde nicht mehr. Außer eben nach Rumänien…

Ein riesengroßes Dankeschön euch beiden für den Einblick in eure Arbeit, für euer Engagement und euer Herz für die „Dogs of the Carpathians“!

Und wie du das Ganze beurteilst, ob du einem Straßenhund ein schönes Zuhause schenkst oder ob du etwas spendest, ob du lieber einen Rasse-Welpen vom Züchter nimmst oder mit Hunden überhaupt nichts am Hut hast, bleibt natürlich dir überlassen – für mich steht jedenfalls fest: Adopt, don´t shop!

DoC – Dogs of the Carpathians e.V., Dr. Viola Stender-Schulte, Dr. Michael Schulte und Dipl.-Ing. Petra Hohlfeld, Gneisenaustraße 8, 58511 Lüdenscheid

https://doc-ev.de/

https://www.instagram.com/dogsofthecarpathians/

https://www.facebook.com/dogsofthecarpathians/

Die Fotos mit Ausnahme des Titelbildes wurden mit freundlicher Unterstützung von Viola Stender-Schulte zur Verfügung gestellt.

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