ODER: WELTMEISTER MIT ERFAHRUNG…
Zieh, Hanni, ziiiiiieh – vielleicht standest auch du vor zwanzig Jahren an der Mühlenkopfschanze und hast lautstark in die Jubelschreie eingestimmt!? Seitdem ist viel passiert, doch Sven Hannawald ist dem Wintersport treu geblieben. Als Skisprung-Experte steht er für die ARD und das ZDF regelmäßig vor der Kamera; außerdem wagt er sich seit 2005 immer wieder mit dem Wok in den Eiskanal. Am vergangenen Samstag hat er sich in dieser Disziplin zum zweiten Mal den Weltmeister-Titel gesichert und als Pilot die Geschicke von Thore Schölermann, Pascal Hens und Thorsten Legat im Vierer-Wok gelenkt:
Die Ursprungsidee ist das Fliegen
Sven, im Winter 2001/02 hast du alle vier Teilwettbewerbe der Vierschanzentournee gewonnen; das hat vor dir kein anderer Sportler geschafft. Wie blickst du heute auf diesen historischen Erfolg zurück?
Das war der Traum vom kleinen Sven, der die Tour damals vor vielen, vielen Jahren im Erzgebirge am Fernseher verfolgt hat. Diesen Traum konnte ich mir erfüllen, und ich bin unheimlich dankbar dafür. Die Grundvoraussetzung war natürlich meine Leistung, aber drumherum musste auch Einiges mitspielen, und dass ich dann der Auserwählte sein durfte, der es als erstes geschafft hat, macht mich sehr stolz.
Was macht für dich die Faszination Skispringen aus?
Der Ur-Traum des Menschen ist es, fliegen zu können, und dem kommt er mit den verschiedensten Dingen nach, unter anderem mit dem Skispringen. Wenn man dann durch die Luft segelt, erlebt man das fast wie in Trance oder in Zeitlupe. Am Ende geht es zwar darum, am weitesten zu springen und die meisten Punkte zu haben, das ist dann eben der Wettkampf, aber die Ursprungsidee ist das Fliegen, und dem kommen wir dann schon sehr, sehr nah.

Heute stehst du als Skisprungexperte vor der Kamera. Wie wichtig ist es dir, mit diesem Sport verbunden zu bleiben?
Ich bin erstmal sehr froh darüber, dass ich überhaupt wieder an die Schanze kann, denn als ich aufhören musste, ging das nicht, und ich hatte echt meine Probleme damit, zurückzublicken. Zum Glück ist es heute so, dass ich mich wieder sehr freuen kann, wenn die Saison losgeht – Skispringen ist einfach mein Ein und Alles. Ich habe jetzt den Abstand dazu, dass ich mich nicht mehr aktiv dabei sehe, sondern als Experte, und so genieße ich jetzt die heutige Generation und hoffe, dass die Jungs ganz bald auch mal wieder die Tournee nach Deutschland bringen. Das mitzuverfolgen und den Zuschauern näher zu bringen, das macht mir sehr viel Spaß!

Ehrgeiz, Disziplin, Druck – Leistungssport kann durchaus auch einen hohen Preis haben. Was würdest du jungen Talenten raten?
Der Ehrgeiz muss sein, das Arbeiten muss sein, der Perfektionismus muss sein, wenn man am Ende ganz oben stehen möchte. Aber jedes Kind und jeder Jugendliche muss lernen, sich nach getaner Arbeit da rauszunehmen. Für mich war das irgendwann nicht mehr möglich, weil ich komischerweise immer besser geworden bin, je mehr ich mich auch vom Kopf her mit dem Skispringen beschäftigt habe; aber umso mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto mehr habe ich mir auch die wertvolle Zeit des Ausgleichs und des Energie-Aufladens genommen. Mit jungen Jahren hat der Körper das alles weggesteckt, aber ab einem gewissen Punkt kommt dann die klare Rechnung. Deswegen musste ich leider früher als geplant mein geliebtes Skispringen gehen lassen, weil das einfach nicht mehr funktioniert hat. Diese Erfahrung möchte ich allen mitgeben, ob das jetzt Sportler sind, Führungskräfte oder Mütter – das sind alles die Personen, die den ganzen Tag etwas erreichen möchten, und meistens dabei vergessen, sich selbst etwas Gutes zu tun. Ich habe mein Jahr jetzt so aufgeteilt, dass im Winter nur Skispringen ist, und ich im Sommer Seminare gebe, um den Menschen wieder ein Bewusstsein für sich selbst zu geben. Die Anzeichen hat eigentlich jeder in sich, aber man nimmt das schnell auf die leichte Schulter, denkt, dass das schon wieder weggehen wird. Ich möchte Wege zeigen, diese Zeichen klar aufzunehmen und anzufangen, sich selbst aktiv darum zu kümmern, den Alltag, der sich ja nicht ändern und immer kompakt bleiben wird, besser zu bewältigen. Bei mir selbst hat es ja auch funktioniert; ich kann Stress bewältigen, weil ich weiß, dass danach auch wieder die Ruhe kommen wird.

In deiner aktiven Zeit bist du weltweit auf Schanzen in den unterschiedlichsten Ländern gesprungen. Bekommt man überhaupt etwas von der Umgebung mit, welche Erinnerungen hast du an den Weltcup auf der Mühlenkopfschanze in Willingen?
Es ist schon so, dass ich mehr Erinnerungen an Flughäfen und Hotels als an verschiedene Städte habe. Es gab vereinzelte Weltcups, bei denen man schon mehr von der Umgebung mitbekommen hat, wie zum Beispiel Sapporo, wo man mitten in der Großstadt ist und natürlich auch die ganzen Lichter sieht. Parallel lief auch immer das Schnee-Festival, das war sensationell beleuchtet, das war schon beeindruckend. Aber ansonsten war ich einer, der eher bei sich geblieben ist, der leider gewisse Dinge nicht zulassen konnte. Und um ehrlich zu sein, wäre das damals auch gar nicht möglich gewesen; wir hatten zwar schon unsere Ruhezeiten, aber sobald wir aus dem Hotel herausgegangen wären, hätten da auch schon unsere Unterstützer auf uns gewartet. Das wäre dann zu viel geworden; es sind ja schon Momente, in denen man auch Zeit für sich braucht. Und Willingen, klar, das steht für ein Riesen-Spektakel; die Show drumherum, das ist ein Mega-Event, was da auf die Beine gestellt wird – das haben wir immer sehr genossen und da freue ich mich auch als Experte drauf. Es ist einfach toll, das mitzuerleben!

2005 hast du erstmals an der „Wok-WM“ teilgenommen, seitdem bist du regelmäßig dabei. Welchen Grad an Verrücktheit braucht es, um sich in einem Kochtopf in den Eiskanal zu stürzen? Und wie bereitet man sich darauf vor?
Die Idee ist natürlich verrückt, aber auch einfach klasse; das hat mich damals schon sehr angesprochen. Ein bisschen hat das auch was mit dem Skispringen gemeinsam: Der Kick, weil du weißt, es kann was passieren, ziemlich nah ans Limit oder vielleicht sogar ein bisschen darüber hinaus zu gehen und am Ende vielleicht auf dem Podium zu stehen. Und vorbereiten kann ich mich leider nicht so wirklich darauf; ich hätte ein paar Kilos zunehmen sollen, aber das funktioniert genetisch bedingt nicht. Ich plane natürlich auch nicht das ganze Jahr der „Wok-WM“ entgegen; wenn ich die Anfrage habe, nehme ich die gern an, aber die Vorbereitung ist dann eher, sich die Leistung vom letzten Jahr noch mal anzuschauen, zu sehen, wie die Teamkollegen aufgestellt sind, und dann hier ein paar Trainingsfahrten zu absolvieren.

Überwiegt hier der Spaß oder spielt auch ein bisschen der sportliche Ehrgeiz mit?
Bei einem Profi-Sportler bekommst du den Ehrgeiz nicht raus! Ich sehe ja auch, wie Teams, die aus einer ganz anderen Branche kommen, da vielleicht ein bisschen naiv rangehen, und dann die, in denen die Sportler unterwegs sind, die sich wirklich richtig Gedanken machen. Ich finde es gut, das strategisch anzugehen, habe aber auch gelernt, mir da nicht bis ins letzte Detail Gedanken darüber zu machen, weil es dann wieder Arbeit wäre, und die Arbeit den Spaß nehmen würde. Also, ich bin noch ein bisschen wie früher, aber nicht mehr so, dass es hier unbedingt ums Siegen geht. Wenn´s klappt, wunderbar, wenn nicht, freue ich mich, dass ich dabei war.

Du trittst im Vierer-Wok mit Thore Schölermann, Pascal Hens und Thorsten Legat an. Wie wichtig ist es, als Team untereinander zu funktionieren?
Es ist immer ein bisschen vom Gewicht abhängig, und wir haben jetzt gewisse physikalische Gesetzmäßigkeiten durchgesprochen, die dann letztendlich Auswirkungen auf unsere Sitz-Reihenfolge haben. Ich habe mir erhofft, dass das Maximalgewicht für Vierer-Woks etwas höher wäre, und wir innerbetrieblich etwas mehr Spielraum hätten, aber das ist jetzt nicht so, und deswegen müssen wir einfach nochmal schauen… Nach dem Training eben, bei dem wir echt einen kompletten Crash hatten, müssen wir überlegen, wie wir uns noch einmal neu aufstellen und sitzlich verändern. Dann wird sich entscheiden, ob wir durchkommen oder nicht.

Offenbar ist es Sven Hannawald ein weiteres Mal gelungen, die physikalischen Gesetzmäßigkeiten für sich zu nutzen, und das nur fünfzehn Kilometer von der Mühlenkopfschanze entfernt, auf der er 2003 den Weltcup für sich entscheiden konnte… Und genau da wird er in ein paar Wochen wieder sein, als Experte vor der Kamera stehen und als leidenschaftlicher Wintersportler mitfiebern, wenn es wieder heißt: Ziiiiiiiiiiiieh!
https://www.sven-hannawald.de/
https://www.instagram.com/sven_hannawald/
https://www.facebook.com/hannawald.sven/
Die Fotos mit Ausnahme des Titelbildes und des zuletzt verwendeten Fotos wurden mit freundlicher Unterstützung von Sven Hannawald (Fotos der Wok-WM: Willi Weber) zur Verfügung gestellt.
